Rendezvous mit Übermorgen
über der Stadt hinweg. »Als ich noch ein Knabe war«, sein gepflegtes Englisch war fast ein Flüstern, »bin ich in klaren Nächten gern auf diese Hänge gestiegen und habe in den Himmel gestarrt und die Heimat jener eigenartigen intelligenten Wesen gesucht, die eine solche einzigartige riesenhafte Maschine erbauen konnten. Einmal stieg ich mit meinem Vater hinauf, wir kauerten uns in der kalten Nachtluft eng aneinander, und er betrachtete den Sternenhimmel und erzählte mir, wie es daheim in seinem Dorf gewesen war, als das erste Rendezvous mit Rama stattfand, zwölf Jahre vor meiner Geburt. In jener Nacht glaubte ich ...«, er wandte sich zu Nicole, und wieder sah sie die Leidenschaft in seinen Augen, »und ich glaube es auch heute noch, dass dieser Besuch einen Grund hatte, dass hinter dem Erscheinen dieses schrecklich-erhabenen Raumschiffs ein verborgener Zweck stand. Ich habe sämtliche Daten über diese Erstbegegnung studiert, weil ich hoffte, irgendeinen Hinweis zu entdecken, der erklären könnte, warum es kam. Aber ich fand nichts Stichhaltiges. Ich habe diesbezüglich mehrere Theorien entwickelt, aber ich habe nicht genügend beweiskräftiges Material, um auch nur eine davon zu untermauern.«
Wieder schwieg Takagishi und trank Tee. Nicole war ebenso überrascht wie beeindruckt von dem tiefen Gefühl, das er geoffenbart hatte. Sie wartete schweigend und geduldig, bis er wieder zu sprechen begann. »Ich wusste, dass ich eine leidlich gute Chance hatte, als einer der Kosmonauten ausgewählt zu werden. Nicht nur wegen meiner Veröffentlichungen zum Thema, besonders des Atlas, sondern auch weil einer meiner engsten Freunde, Hisanori Akita, der Delegierte Japans im Wahlgremium war. Als die Zahl der noch zur Auswahl in Frage kommenden Wissenschaftler auf acht reduziert und ich immer noch einer von ihnen war, deutete mir Akita-san an, dass allem Anschein nach David Brown und ich die beiden Spitzenkandidaten bleiben würden. Sie erinnern sich, dass bis dahin keinerlei körperliche Tauglichkeitsuntersuchungen irgendwelcher Art durchgeführt worden waren.«
Ja, das stimmt. Die potentielle Mannschaft wurde zunächst ausgesiebt, bis auf achtundvierzig, und dann wurden wir alle nach Heidelberg zum Körpertauglichkeitsexamen verfrachtet. Die leitenden deutschen Examensärzte bestanden rigoros darauf dass jeder Kandidat jeden einzelnen Punkt der medizinischen Checkliste erfüllte. Die Absolventen der Academy waren die erste Testgruppe, und fünf von zwanzig fielen durch. Unter ihnen Alain Blamont.
»Als Ihr Landsmann Blamont, der bereits bei einem halben Dutzend wichtigerer Flüge der ISA dabei gewesen war, wegen eines unbedeutenden Herzgeräusches ausscheiden musste und das Auswahlgremium danach den Ärzten recht gab und seinen Einspruch abwies, geriet ich völlig in Panik.« Stolz schaute der japanische Physiker Nicole nun direkt in die Augen, als flehte er sie um Verständnis an. »Ich fürchtete, die wichtigste Chance meines beruflichen Lebens wegen eines geringfügigen körperlichen Defekts zu verpassen, der vorher mein Leben in keiner Weise jemals beeinträchtigt hatte.« Er hielt inne, wie um seine nächsten Worte sorgsam abzuwägen. »Ich weiß, was ich tat, war unehrenhaft und nicht recht, doch damals redete ich mir ein, es sei ganz in Ordnung, dass ich mir die Chance, das größte Rätsel der Menschheitsgeschichte zu lösen, nicht durch eine Gruppe engstirniger Ärzte verbauen lassen dürfte, die körperliche Fitness und Gesundheitsakzeptanz nur anhand von Zahlenwerten bestimmten.«
Den Rest seiner Geschichte erzählte Dr. Takagishi ohne Schnörkel und sichtbare Gefühlsregung. Der flüchtige Ton von Leidenschaft, den er bei der Erwähnung der Ramaner angeschlagen hatte, war verschwunden, er berichtete jetzt mit knapper, klarer, ganz unerregter Stimme weiter. Er erklärte, wie er seinen Hausarzt beschwatzt hatte, seine Krankengeschichte zu falschen und ihm ein neues Medikament zu besorgen, das die Diastolenstörung während der zweitägigen Untersuchungen in Heidelberg unterdrücken konnte. Trotz eines gewissen Risikos gesundheitlicher Nebenwirkungen bei dem neuen Mittel war alles nach Plan verlaufen. Takagishi bestand den rigorosen Gesundheitstest und wurde schließlich neben Dr. David Brown als einer der zwei Wissenschaftler ausgewählt, die an der Mission teilnehmen sollten. Er hatte danach dem medizinischen Problem keine weitere Beachtung mehr geschenkt, bis Nicole vor etwa drei Monaten den Kosmonauten
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