Rendezvous mit Übermorgen
diesen plötzlichen Trip um ein Drittel des Globus herum. Noch vierundzwanzig Stunden zuvor hatte sie diesen Tag in ihrem Haus vorgeplant: Erledigung einiger beruflicher Arbeiten am Morgen, Sprachunterricht mit Genevieve am Nachmittag. Es war der Anfang des Kurzurlaubs für die Kosmonauten, und von dieser blödsinnigen Silvesterparty in Rom abgesehen wäre Nicole im Grunde bis zum 8. Januar ihr eigener Herr gewesen; dann hätte sie sich wieder bei LEO-3 zurückmelden müssen. Doch während sie am vergangenen Morgen im Arbeitszimmer ihres Hauses routinemäßig die Biometriewerte der letzten Simulationsreihe überprüfte, war sie auf etwas Seltsames gestoßen. Sie hatte sich Richard Wakefields Herzfrequenz und Blutdruck bei einem Test mit variabler Schwerkraft vorgenommen, und dabei war ihr eine besondere plötzliche Sprunghaftigkeit der Pulsfrequenz unerklärlich geblieben. Daraufhin hatte sie beschlossen, Dr. Takagishis detailliertes kardiologisches Biometrieprotokoll zum Vergleich heranzuziehen, da er zum Zeitpunkt der Pulserhöhung bei Richard ebenfalls starke körperliche Aktivität absolviert hatte.
Nach Auswertung der gesamten Kardialinformation Takagishis war sie noch erstaunter. Die diastolische Herzerweiterung des japanischen Professors war eindeutig irregulär, möglicherweise sogar pathologisch. Aber die Sonde hatte kein Warnsignal abgegeben, und es waren keine Datenkanäle alarmiert worden. Was ging da vor? War sie auf ein Funktionsversagen im Hakamatsu-System gestoßen?
Eine Stunde detektivischer Spürarbeit führte zur Entdeckung weiterer Absonderlichkeiten. Während der ganzen Simulationsreihe waren vier gesonderte Intervalle aufgezeichnet worden, bei denen das Problem bei Takagishi aufgetreten war. Das abnorme Verhalten war sporadisch und intermittierend. Manchmal trat die extralange Diastole, die an eine Herzklappendisfunktion bei der Füllung des Herzens mit Blut erinnerte, ganze achtunddreißig Stunden lang nicht auf. Die Tatsache jedoch, dass sie sich bei vier verschiedenen Gelegenheiten abzeichnete, legte den Schluss nahe, dass es sich eindeutig um irgendeine Anomalie handeln müsse.
Was Nicole rätselhaft blieb, waren nicht die Daten als solche - sondern dass das System bei derart sprunghaft irregulären Beobachtungen nicht die vorgesehenen Warnsignale ausgelöst hatte. Bei ihrer Analyse hatte Nicole sich auch fleißig durch Takagishis Krankengeschichte hindurchgearbeitet und den kardiologischen Befunden besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Sie war jedoch auf keinen Hinweis auf irgendeine Abnormität gestoßen und so zu der Überzeugung gelangt, dass sie einen Sensorenfehler und nicht ein echtes Krankheitsbild vor sich habe.
Wenn das System also richtig funktionieren würde, hätte das Einsetzen der langen Diastole den Herzmonitor sofort über den Erwartungsgrenzwert steigen und Notalarm auslösen lassen müssen. Das ist aber nicht geschehen. Weder beim ersten Mal noch später. Könnten wir es hier mit einem Doppelversagen zu tun haben ? Und wenn ja, wie konnte der Apparat den Selbsttest bestehen ?
Zuerst hatte Nicole daran gedacht, einen ihrer Assistenten im Biowissenschaftlichen Amt der ISA anzurufen und über ihre Entdeckung zu sprechen, doch da die ISA einen Feiertag hatte, beschloss sie, stattdessen Dr. Hakamatsu in Japan anzurufen. Das Gespräch hatte sie völlig verwirrt. Er erklärte ihr glatt, dass das von ihr wahrgenommene Phänomen vom Patienten ausgehen müsse, dass kein kombiniertes Versagen der Konstruktionsteile seiner Sonde zu derart sonderbaren Resultaten geführt haben könnte. »Aber wieso gab es dann keine Eingänge in der Warnaufzeichnung?«, hatte sie den Elektronikkonstrukteur in Japan gefragt.
»Weil keine Erwartungsgrenzwerte überschritten worden sind«, antwortete er selbstsicher. »Aus irgendeinem Grund muss man diesem speziellen Kosmonauten eine extrem hohe Toleranzschwelle eingeräumt haben. Sie haben seine Krankengeschichte in Betracht gezogen?«
Als Nicole im weiteren Verlauf des Gesprächs Dr. Hakamatsu gestand, dass die ungeklärten Daten effektiv aus den Sonden im Körper eines seiner eigenen Landsleute, nämlich des Kosmonauten-Wissenschaftlers Takagishi, stammten, hatte der sonst meist so zurückhaltende Ingenieur regelrecht ins Telefon gebrüllt. »Wunderbar! Dann werde ich das Rätsel ganz rasch lösen können. Ich setze mich mit Takagishi drüben an der Universität in Kyoto in Verbindung und lasse Sie dann wissen, was ich herausfinde.«
Drei Stunden
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