Rendezvous mit Übermorgen
Auferstehungsgottesdienst am Ostermorgen bei Bolsena predigte. Bei der zweiten Erscheinung gab Gott Michael die Information, dass seine Botschaft sich bis ans Ende des Regenbogens verbreiten werde und dass ER, GOTT-der-HERR, den Gläubigen bei der Ostermesse ein >Zeichen< senden wolle.
Dieses berühmteste Wunder im Leben des heiligen Michael wurde von über einer Milliarde Menschen im Fernsehen mitverfolgt; hier ist es im neunten Bild dargestellt. Sankt Michael bei der Osterpredigt vor den Menschenscharen, die sich am Gestade des Bolsenasees versammelt haben. Ein heftiger Frühlingsschauer durchnässt die Menge, von der die meisten die bekannten blauen Gewänder tragen, wie sie für Michaels Anhänger typisch geworden sind. Doch während rings um Michael der Regen niederströmt, wird seine Kanzel und die Tonlage, die der Verstärkung seiner Stimme dient, von keinem einzigen Regentropfen berührt. Ein stetiges strahlendes Spotlight aus der Sonne umspielt das Antlitz des jungen Heiligen, während er der Welt Gottes Neues Gesetz verkündet. Es war dieser entscheidende Schritt über die bloße Funktion religiöser Führerschaft hinaus ...«
General OToole schaltete ab und trat vor das zehnte und dann das elfte Bild. Den Rest der Story kannte er genau. Nach jener Ostermesse in Bolsena wurde Michael von einer Häufung von Missgeschicken heimgesucht. Sein Leben war plötzlich verändert. Innerhalb von zwei Wochen wurden nahezu alle seine Kabel-TV-Lizenzen gekündigt. Die Presse war ständig voll von Berichten über Korruption und Unmoral bei seinen jugendlichen Anhängern, von denen es allein im westlichen Teil der Welt inzwischen Hunderttausende gab. Es gab einen Mordanschlag auf ihn, der im letzten Augenblick von seinen engsten Jüngern vereitelt wurde. Und es gab völlig unbegründete Berichte in den Medien, dass Michael verkündet habe, er sei der neue Christus.
Also bekamen die Führer der Welt Furcht vor dir. Alle. Mit deinem Gesetz des Lebens warst du für jeden eine Bedrohung. Und sie haben nie verstanden, was du mit dem Begriff >finale Evolution < sagen wolltest.
Der General stand vor dem zehnten Tableau. Er kannte die Szene ganz genau. Aber auch fast jeder andere einigermaßen gebildete Mensch auf Erden würde sie sofort erkannt haben. An jedem 28. Juni zeigten die Fernsehstationen die Aufzeichnungen der letzten Sekunden, ehe die Bombe der Terroristen explodiert war. Am ersten Tag des Festes von Sankt Peter und Paul, dem Jahrestag jenes Tages, an dem Michele Balatresi und fast eine Million anderer mit ihm an jenem verhängnisvollen Morgen im Frühsommer 2138 in Rom vernichtet wurden.
Du hattest sie nach Rom gerufen, damit sie sich dir anschließen. Um der Welt zu demonstrieren, dass alle sich als Einheit fühlen. Also sind sie gekommen. Das zehnte Bild zeigte Michael in seinen blauen Gewändern, hoch oben auf den Stufen des Vittorio-Emmanuele-Denkmals dicht an der Piazza Venezia. Er war mitten in einer Predigt. In alle Himmelsrichtungen rings um ihn, von der vollgestopften Via dei Fori Imperiali zum Coliseo ein Meer von Blau. Und die Gesichter! Begeisterte Gesichter, voll erregter Erwartung, überwiegend jung, nach oben gewandt, überall in den ehrwürdigen Monumenten der uralten Stadt, bestrebt, wenigstens einen flüchtigen Blick auf den jungen Menschen, diesen Menschenjungen zu erhaschen, der zu sagen wagte, er wisse einen Weg, den Weg Gottes, der die Welt aus der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit herausführen könne, in der sie zu ertrinken drohte.
Michael Ryan O'Toole, siebenundfünfzig Jahre alt, US-Amerikaner, Katholik aus Boston, sank auf die Knie und weinte - wie vor ihm schon viele Tausende -, als er das elfte Bild des Zyklus ansah. Der gleiche Blickwinkel wie auf dem vorherigen Bild, aber über eine Stunde später - eine Stunde, nachdem die fünfundsiebzig Kilo schwere Atombombe, die in einem Übertragungswagen bei der Trajanssäule versteckt war, explodierte und eine grässliche pilzförmige Wolke in den Himmel über der Stadt spuckte. Alles im Umkreis von zweihundert Metern um das Epizentrum war augenblicklich verdampft. Es gab keinen Michael mehr, keine Piazza Venezia, kein gigantisches Denkmal für Viktor Emanuel. In der Mitte des Freskos war nichts als ein Loch. Und an dessen Rand, wo die Vernichtung nicht ganz so vollständig war, sah man Szenen von solch entsetzlichem Leid und Grauen, dass vor ihnen auch die abgeschottetste Gleichgültigkeit eines unbeeindruckbaren Idioten hätte
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