Rendezvous mit Übermorgen
Hadriansvilla zurückzulegen, verdichtete sich der Verkehr und geriet ins Stocken. Es ging nur noch sehr langsam weiter, nicht nur wegen der vielen Wagen, in denen Gäste zu dem Gala-Empfang gebracht wurden, sondern auch wegen der Hunderte von neugierigen Gaffern und der paparazzi der Regenbogenpresse, die dichtgedrängt an der alten einspurigen Kutschenstraße standen.
Nicole holte tief Luft, als das Auto endlich auf dem runden Vorplatz anhielt. Durch die getönten Scheiben konnte sie den Schwärm von Fotoreportern sehen, die sprungbereit auf alles lauerten, was aus dem Wagen steigen würde. Die Tür glitt automatisch auf, und Nicole stieg langsam aus. Sie zog den schwarzen Wildledermantel enger um sich und achtete darauf, nicht mit ihren hochhackigen Schuhen hängenzubleiben.
»Wer issen die?«, hörte sie jemand sagen.
»Franco, komm, schnell - die Kosmonautin des Jardins!«
Es folgte ein dünner Applaus, dann das Zucken der Blitze vieler Kameras. Ein freundlich wirkender italienischer Herr trat vor und ergriff Nicole an der Hand. Leute drängten sich um sie, mehrere Mikrophone wurden ihr unter die Nase geschoben, und sie hatte das Gefühl, als stelle man ihr hundert Fragen in vier, fünf verschiedenen Sprachen gleichzeitig.
»Warum haben Sie alle persönlichen Interviews verweigert?« »Bitte machen Sie den Mantel auf, damit wir Ihr Kleid sehen können!« »Werden Sie von den übrigen Kosmonauten als Wissenschaftlerin respektiert?«
»Bleiben Sie doch mal kurz so. Bitte lächeln!«
»Was halten Sie von Francesca Sabatini?«
Nicole gab keine Antworten, während die Sicherheitsmänner die Menge zurückdrängten und man sie zu einem überdachten Elektrowagen führte. Der Viersitzer kroch langsam den langen Hang hinauf, die Menge blieb zurück, und eine freundliche Italienerin Mitte zwanzig erklärte in Englisch die Umgebung. Nicole und Hiro Yamanaka erfuhren, dass Kaiser Hadrian, der von 117 bis 138 über das Römische Imperium herrschte, sich diese gewaltige Villenanlage als Refugium zum Privatgebrauch hatte erbauen lassen. Das architektonische Prunkstück bot ein Gemisch aller Baustile, denen Hadrian auf seinen zahlreichen Reisen in entlegene Provinzen begegnet war. Das Gelände umfasste dreihundert Acres flaches Land am Fuß der Tiburtinischen Berge, und der Imperator hatte die Pläne mit eigner Hand entworfen.
Die Wagenfahrt an den antiken Ruinen vorbei schien wohl als Einstimmung auf das nächtliche Fest geplant zu sein. Die erleuchteten Ruinen boten nur eine Ahnung von ihrer ehemaligen Pracht, denn sie besaßen kaum noch Dächer, sämtliche Dekorationsplastiken waren entfernt worden, und die unverputzten Steinmauern waren schmucklos. Doch nachdem der Wagen sich an den Canopus-Ruinen vorbeigeschlängelt hatte, der im ägyptischen Stil um einen rechteckigen Teich gebauten Anlage (es war inzwischen das fünfzehnte oder sechzehnte Bauwerk der »Villa«, Nicole kam mit dem Zählen nicht mehr nach), bemächtigte sich ihrer doch ein allgemeines Gefühl dafür, wie gewaltig der Gesamtkomplex war.
Der Mann starb vor über zweitausend Jahren, dachte Nicole (in Erinnerung an ihren Gesichtsunterricht). Und er war einer der intelligentesten Menschen, die je auf dieser Erde lebten. Stratege, ein Verwaltungsgenie, großartiger Linguist. Sie lächelte, als ihr die Sache mit Antinous in den Sinn kam. Fast das ganze Leben lang einsam. Bis auf diese eine überwältigende, leidenschaftliche kurze Liebe, die als Tragödie endete.
Das Wägelchen hielt an einem kurzen Gehweg. Die Führerin beendete ihren Monolog. »Zum ehrenden Gedächtnis an die große Pax Romana, eine längere Periode des Weltfriedens-vor zweitausend Jahren ließ die italienische Regierung mit der Unterstützung durch großzügige Spenden seitens der auf der Plakette unter der Statue dort rechts von Ihnen aufgeführten Firmen mit Beschluss aus dem Jahre 2189 eine originalgetreue Rekonstruktion des Hadrianischen Maritimtheaters erbauen. Sie erinnern sich vielleicht, wir kamen an den Ruinen des ursprünglichen Bauwerks zu Beginn unserer kleinen Fahrt vorbei. Es war die Absicht, mit diesem Rekonstruktionsprojekt zu demonstrieren, wie ein Besuch dieses Teils der Hadriansvilla zu Lebzeiten des Kaisers gewesen wäre. Der Bau wurde 2193 fertiggestellt und seither immer wieder für feierliche Staatsakte benutzt.«
Zum Empfang der Gäste standen junge Italiener, einheitlich im Abendanzug und von uniformer Hübschheit und Körpergröße, parat und geleiteten sie
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