Rendezvous mit Übermorgen
bisher als genau zutreffend erwiesen. Ich habe nicht vergessen, dass du mir sagtest, etwas Schlimmes sei mit deiner Mutter los ... zwei Tage, ehe wir dann die Nachricht erhielten ...«
»Aber nein, solch ein starkes Gefühl ist es nicht«, unterbrach Nicole. »Außerdem, was könnte ich als Entschuldigung vorschützen? Die rechnen doch alle mit mir, besonders die Medien - sagt jedenfalls diese Francesca Sabatini. Und die ist mir immer noch böse, weil ich mich weigerte, ihr ein persönliches Interview zu geben.«
»Ja, dann solltest du vielleicht doch hingehen. Aber versuch doch, ein bisschen Spaß dran zu haben. Nimm halt mal für diese eine Nacht nicht alles so ernst.«
»Und vergiss ja nicht, Julien LeClerc von mir zu grüßen«, fügte Genevieve hinzu.
»Ihr beide werdet mir um Mitternacht fehlen«, sagte Nicole. »Es ist das erste Mal, dass ich Silvester nicht mit euch verbringe, seit 2194.« Sie schwieg und dachte an die gemeinsamen Ferien. »Passt schön aufeinander auf, ihr zwei. Ihr wisst doch, dass ich euch sehr lieb habe.«
»Ich hab dich auch lieb, maman /«, Genevieve, und Julien winkte zum Abschied. Nicole schaltete aus und warf einen Blick auf ihre Uhr. Es war acht. Ihr blieb immer noch eine Stunde, ehe ihr Fahrer sie in der Hall abholen sollte. Sie ging zum Terminal, um sich etwas zu essen zu bestellen: eine Schüssel Minestrone und ein Fläschchen Mineralwasser. Der Computer-Monitor versicherte ihr, sie könne beides in spätestens sechzehn bis neunzehn Minuten in Empfang nehmen.
Ich bin heut Abend wirklich ziemlich überdreht , dachte Nicole, während sie auf ihre Bestellung wartete und eine Zeitschrift namens Italia durchblätterte. Der Aufmacher war ein Interview mit Francesca Sabatini. Der Artikel war zehn volle Seiten lang und enthielt mindestens zwanzig verschiedene Fotos der »Bella Signora«. Behandelt wurden die zwei höchst erfolgreichen Dokumentationen der Sabatini (das erste Projekt über >moderne Liebes das zweite über >Drogen<), wobei während der Ausstrahlung des Dokumentarfilms über Drogen mehrmals drastisch gestichelt wurde, dass Francesca eine Zigarette nach der anderen qualmte.
Nicole überflog den Artikel rasch, erkannte jedoch, dass es Facetten im Wesen dieser Francesca gab, die ihr bisher nie in den Sinn gekommen wären. Aber was motiviert sie?, fragte sich Nicole. Was will sie wirklich? Am Ende des Artikels wollte der Interviewer wissen, was Francesca über die anderen zwei Frauen im Newton-Team halte. »Ich hab das Gefühl, dass ich im Grunde die einzige wirkliche Frau auf diesem Flug bin«, hatte Francesca geantwortet. Den Rest dieses Absatzes las Nicole langsamer und genauer. »Diese russische Pilotin, die Turgenjew, sie denkt und gibt sich wie ein Mann, und die afro-französische Prinzessin, Nicole des Jardins, hat bewusst ihre Feminität unterdrückt, was ein Jammer ist, weil sie eine so bezaubernde Frau sein könnte.«
Nicole erboste sich nur wenig über die oberflächlichen schnodderigen Bemerkungen. Eigentlich war sie eher amüsiert. Für einen Sekundenbruchteil verspürte sie einen Anflug von Konkurrenzneid, dann jedoch rief sie sich zur Ordnung wegen der kindlich-unreifen Reaktion. Ich werde mir genau den rechten Moment aussuchen, Francesca, und dich nach diesem Artikel fragen , dachte sie und lächelte dabei. Wer weiß, vielleicht frage ich sie ja auch, ob sie ihre Qualifikation als besonders weibliche Frau daraus ableitet, dass sie bevorzugt mit verheirateten Männern ins Bett geht...
Die Fahrt von fünfundvierzig Minuten vom Hotel zum Ort der Festlichkeit, der Villa Adriani, in den Außenbezirken Roms unweit des Ferienortes Tivoli, verlief in anhaltendem Schweigen. Neben Nicole saß Hiro Yamanaka, und der trug zu Recht den Ruf, der wortkargste unter den Kosmonauten zu sein. Francesca Sabatini hatte vor zwei Monaten bei ihrem TV-Interview mit Hiro nach zehn Minuten, während derer er auf all ihre Fragen mit zwei, drei brummigen einsilbigen Lauten reagiert hatte, völlig genervt gefragt, ob das Gerücht der Wahrheit entspreche, dass er ein Android sei.
»Was?«, hatte Hiro Yamanaka zurückgefragt. »Sind Sie ein Android?«, hatte Francesca mit hinterhältigem Lächeln noch einmal gefragt.
»Nein«, hatte der Pilot aus Japan geantwortet, und sein Gesichtsausdruck blieb völlig unbewegt, auch als die Kamera dicht auf ihn einzoomte.
Als der Wagen von der Hauptstraße zwischen Rom und Tivoli abbog, um die restlichen anderthalb Kilometer bis zur
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