Rendezvous mit Übermorgen
Goldpailletten an ihrem Dekolleté hatten sich zu einem Muster geordnet, so schien es Nicole jedenfalls. Sie erblickte einen Kopf darin, den Kopf einer großen Katze mit funkelnden Augen, und der scharfzahnige Mund bereit, sich zu öffnen.
Schließlich (und ihr erschien es wie eine Ewigkeit) spürte sie, dass sie sich wieder unter Kontrolle hatte. Sie blickte Francesca fest und zornig an. »Non voglio parlare di quello«, sagte sie gelassen. »Abbiarno terminato questa intervista!« Sie erhob sich, merkte, dass sie zitterte, und setzte sich wieder. Die Kameras liefen noch. Sie atmete mehrere Sekunden lang tief durch. Schließlich stand sie erneut auf und verließ das Behelfsstudio.
Sie wollte nur fliehen, dem allem entkommen, irgendwohin, wo sie mit ihren geheimsten Gefühlen allein sein konnte. Aber das erwies sich als unmöglich. Julien hatte sie am Arm ergriffen.
»Was für ein Miststück!«, sagte er und wies anklagend in Francescas Richtung. überall waren Leute, und sie redeten alle gleichzeitig. Es fiel Nicole schwer, in dem ganzen Wirrwarr ihr Seh- und Hörvermögen zu konzentrieren.
Aus der Ferne hörte sie Musik, die ihr vage vertraut erschien, doch sie war bereits halb vorbei, als sie das Lied erkannte: »Auld Lang Syne«. Julien hatte ihr den Arm umgelegt und sang herzhaft mit. Und er führte auch die Gruppe von etlichen zwanzig Leuten, die sich um sie geschart hatten, bei den letzten Worten an. Nicole summte den letzten Takt mechanisch mit und mühte sich, das Gleichgewicht zu halten. Plötzlich pressten sich feuchte Lippen und eine drängende Zunge gegen ihren Mund und versuchten ihre Lippen zu öffnen und einzudringen. Julien versuchte heftig sie zu küssen, überall machten Fotoreporter Schnappschüsse, der Lärm war unglaublich. Nicoles Kopf begann sich zu drehen, sie fürchtete gleich ohnmächtig zu werden. Heftig setzte sie sich zur Wehr und konnte sich schließlich aus Juliens Umklammerung befreien.
Sie taumelte rückwärts und prallte gegen den wütenden Reggie Wilson. Er stieß sie heftig weg, um sich ein Paar zu schnappen, das im Blitzlichtgewitter in einen ausgedehnten Neujahrskuss versunken war. Nicole sah objektiv zu, als säße sie in einem Filmtheater oder befände sich in einem ihrer eigenen Träume. Reggie riss das Paar auseinander und hob den rechten Arm, als wollte er den Mann schlagen. Francesca Sabatini hielt ihn zurück, und David Brown zog sich verwirrt aus ihrem Arm zurück.
»Lass deine Pfoten von ihr, du Dreckskerl!«, schrie Reggie und schien sich erneut auf den amerikanischen Wissenschaftler stürzen zu wollen. »Und bilde dir bloß nicht ein, ich weiß nicht, was du vorhast!« Nicole traute ihren Augen nicht. Das alles ergab keinen Sinn. Sekunden danach wimmelte es von Sicherheitsbeamten im Raum.
Nicole und viele andere wurden knapp und bestimmt vom Punkt der Störung abgedrängt. Die Ordnung wurde wieder hergestellt. Auf ihrem Weg aus dem Studiosektor kam sie an Elaine Brown vorbei, die einsam an eine der Portikussäulen gelehnt dasaß. Nicole war bereits in den Genuss von Elaines Gesellschaft gelangt, als sie nach Dallas geflogen war, um mit David Browns Hausarzt über seine Allergien zu sprechen. In diesem Augenblick war Elaine offensichtlich betrunken und nicht dazu aufgelegt, mit irgendjemandem zu reden. »Du Miststück«, hörte Nicole sie brabbeln, »ich hätte dir nie die Ergebnisse zeigen sollen, eh ich sie selbst veröffentlichen konnte. Dann sähe das alles anders aus.«
Sobald sie den Rücktransport nach Rom arrangiert hatte, verließ Nicole den Gala-Empfang. Unglaublicherweise unternahm Francesca den Versuch, als sei gar nichts geschehen, sie zur Limousine hinauszubegleiten. Nicole lehnte dies schroff ab und ging allein.
Während der Fahrt zum Hotel begann es zu schneien. Sie konzentrierte sich auf die fallenden Flocken, und nach einer Weile war ihr Kopf wieder so klar, dass sie die Bilanz des Abends ziehen konnte. Einer Sache war sie sich absolut sicher: Das Schokoladenpraline, das sie gegessen hatte, musste eine sehr starke ungewöhnliche Zutat enthalten haben. Noch nie zuvor war sie so kurz davor gewesen, völlig die Kontrolle über ihre Gefühle zu verlieren. Vielleicht hat sie auch Wilson eins davon gegeben , dachte sie. Das würde seinen Ausbruch teilweise erklären. Aber warum? Was will sie damit erreichen ?
Im Hotel schlug sie hastig das Bett auf. Gerade als sie die Lichter löschen wollte, glaubte sie ein sachtes Klopfen an der Tür zu
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