Rendezvous um Mitternacht
es unmöglich zu erraten, ob schon jemand auf war.
Ein paar Augenblicke lang fragte ich mich, was Steven hier um sechs Uhr morgens zu schaffen hatte. Dann legte ich die Hand auf die Motorhaube, um zu schätzen, wann er angekommen sein mochte. Sie fühlte sich kalt an. Er war also schon länger hier -vielleicht die ganze Nacht.
Bei dem Gedanken runzelte ich die Stirn und betrachtete das Haus von Neuem. Just in dem Moment öffnete sich die Tür. Ich fuhr zusammen und duckte mich hinter das Auto, voller Angst, gesehen worden zu sein. Mit wild pochendem Herzen stahl ich mich im Entengang zu einer Hecke und ging dahinter in Deckung.
Es waren zwei Stimmen zu hören, die sich unterhielten, eine weibliche, hell und vergnügt, die andere viel tiefer und mit Akzent. Ich konnte nur hie und da einen Wortfetzen aufschnappen, viel zu wenig, um den Sinn der Unterhaltung zu erraten.
Darum ging ich das Risiko ein und spähte über die Hecke. Ich sah Steven und eine Frau, eine hübsche Blonde mit Pferdeschwanz, redend und lachend zu seinem Auto gehen. Sie kam mir bekannt vor, und nach einer Sekunde fiel mir ein, dass es die Kellnerin aus dem Sandwich-Imbiss war. Als Steven den Arm um sie legte und ihr einen Kuss auf die Stirn gab, reichte es mir. Das musste ich mir nicht weiter antun. Mit einem Riesenknoten im Bauch duckte ich mich in Zeitlupe wieder hinter die Hecke und watschelte daran entlang bis hinter das Haus. Von dort aus stahl ich mich über das anschließende Grundstück in die nächste Querstraße und joggte weiter.
Ich lief viel schneller und weiter als geplant, während ich mich fragte, warum Steven die Nacht bei einer anderen Frau gewesen war, nachdem er mich gestern Abend so leidenschaftlich geküsst hatte. Ich kam zu dem Schluss, dass ich von Anfang an recht gehabt hatte – er war ein mieser Hund, und für mich war es gesünder, wenn ich Abstand zu ihm hielt. Nach diesem Auftrag würde ich Dr. Steven Sable fein säuberlich aus meiner Erinnerung streichen.
Anderthalb Stunden später langte ich wieder im B&B an. Gilley empfing mich schon, als ich außer Atem und total verschwitzt durch die Tür kam. »Guter Gott, Mädel! Was war das, ein Marathon?«
Ich winkte matt ab. »Morgen. Wenn mich jemand braucht, ich bin in der Dusche.« Damit wandte ich mich zur Treppe.
Oben suchte ich in meinem Zimmer meinen Kulturbeutel und ein paar frische Klamotten zusammen. Als ich meine Tür schloss und mich in Richtung Badezimmer aufmachen wollte, prallte ich gegen einen breiten Brustkorb.
»Guten Morgen«, sagte Steven, als ich zurückwich.
Ich schaute irgendwohin, nur nicht ihn an. »Morgen.«
Er fuhr mit dem Finger meinen feuchten Haaransatz nach. »Joggen gewesen?«
Ich zog den Kopf ein und glitt an ihm vorbei. »Lassen Sie mich vorbei. Ich muss duschen.«
Er schmunzelte. »Da könnten Sie recht haben.«
Bevor ich mich in Richtung Badezimmer umdrehte, schenkte ich ihm einen frostigen Blick.
»Noch böse?«, fragte er.
Ich gab keine Antwort. Ich ging ins Bad und schloss, ohne zurückzublicken, die Tür hinter mir. »Arsch«, murmelte ich vor mich hin.
Nach einer dampfend heißen Dusche stieg ich in frischen Kleidern die Treppe hinunter. Gilley saß noch am Küchentisch, einen Kaffee und die Lokalzeitung vor sich. Ich nahm mir einen Teller von dem Büfett, das Helen gerichtet hatte. »Hi.«
»Morgen, meine Liebe«, sagte Gilley. »Gut geschlafen?«
»Ziemlich gut.«
»Soll ich dir sagen, warum du schlecht drauf bist?«
»Wer sagt, dass ich schlecht drauf bin?« Ich nahm mir eine Scheibe Toast.
»So wie heute läufst du nur rum, wenn dich irgendwer oder irgendwas fürchterlich geärgert hat. Ich nehme an, es hat damit zu tun, dass ein gewisser Jemand offensichtlich die ganze Nacht weg war und erst heute Morgen wiederkam?«
Ich setzte mich. »Ich hasse es, wenn du immer alles mitkriegst.«
»So bin ich halt.« Er legte die Zeitung weg und sah mich erwartungsvoll an.
Ich nahm eine Scheibe Bacon. »Hast du ihn gefragt, wo er war?«
»Steven? Nein, das geht mich ja nichts an.«
»Ich hab ihn gesehen«, gestand ich. »Als ich laufen war. Ich sah sein Auto in einer Einfahrt. Kann sein, dass ich stehen geblieben bin, um es mir näher anzuschauen, und dabei hab ich ihn und diese hübsche Kellnerin aus dem Imbiss an der Landstraße wie die besten Freunde aus dem Haus kommen sehen.«
Gilley hob eine Augenbraue. »Was heißt, wie die besten Freunde?«
»Sie hatten sich im Arm.«
»Hm. Und ich nehme an – das ist jetzt
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