Rendezvous
gerade schmiede und was ich als nächstes in Bewegung setzen werde? Ganz gleich, wie verstohlen ich auch vorgehe. Ich schwöre dir, es ist fast so, als würde man von Nemesis persönlich verfolgt.«
Sally verschluckte sich an ihrem Tee und betupfte ihre bleichen Lippen schnell mit einem Taschentuch. Ihre Augen funkelten vor Lachen. »Nemesis, na, so was! Was für eine seltsame Bemerkung.«
Nemesis . Augusta grübelte am nächsten Nachmittag immer noch darüber, als Graystones Kutsche nach Dorset rollte.
Das Trauungszeremoniell am Morgen war schnell und schmerzlos vollzogen worden. Graystone hatte geistesabwesend gewirkt und nur sehr wenig Notiz von ihrem sorgsam ausgewählten weißen Musselinkleid genommen. Er hatte ihr noch nicht einmal ein Kompliment zu den züchtigen Rüschen gemacht, die sie in den tiefen Ausschnitt hatte einnähen lassen. Soviel zu ihrem ersten Versuch, ihren Ehemann mit ihrer Sittsamkeit zu beeindrucken.
Graystone hatte darauf bestanden, augenblicklich zu den Flitterwochen aufzubrechen, die sie auf seinem Anwesen verbringen würden. Jetzt saß er Augusta in der Kutsche gegenüber. Schon seit ihrem Aufbruch in London war er tief in seine eigenen Gedanken versunken.
Es war das erste Mal, dass sie miteinander allein waren, seit sie sich in der Kutsche geliebt hatten.
Augusta ruckelte unruhig herum und konnte absolut nicht lesen oder sich allzu lange auf die Landschaft konzentrieren. Sie zupfte an den Litzen ihres kupferfarbenen Reisekostüms und fummelte in ihrer Handtasche herum. Während dieser Aktivitäten warf sie verstohlene Blicke auf Graystone. In seinen blitzblanken Stiefeln, der enganliegenden Kniebundhose und dem elegant geschnittenen Frack wirkte er schlank und kräftig. Sein gestärktes weißes Halstuch war so makellos gefaltet wie immer. Ein Ausbund an vollendeter Form.
Vollendete Formen , dachte Augusta betrübt. Wie sollte sie Harrys Maßstäben jemals gerecht werden? fragte sie sich.
»Fehlt dir etwas, Augusta?« erkundigte sich Harry schließlich.
»Nein, nichts.«
»Bist du ganz sicher?« fragte er liebevoll.
Sie zuckte gekünstelt die Achseln. »Es ist nur so, dass ich das ganz seltsame Gefühl habe, als sei heute alles nicht ganz real. Ich fühle mich, als würde ich jeden Moment wach werden und feststellen, dass ich das alles nur geträumt habe.«
»Ich verlasse mich fest darauf, dass das kein Wunschdenken ist, meine Liebe. Du bist jetzt eindeutig verheiratet.«
»Ja, allerdings.«
Er holte tief Luft. »Du bist besorgt, nicht wahr?«
»Ja, irgendwie schon.« Sie dachte an alles, was vor ihr lag: eine Tochter, der sie noch nie begegnet war, ein neues Zuhause, ein Ehemann, dessen erste Frau nach allem, was bekannt war, ein Inbegriff weiblicher Tugend gewesen war. Tapfer straffte sie die Schultern. »Ich werde versuchen, dir eine gute Ehefrau zu sein, Harry.«
Er lächelte matt. »Hast du das wirklich vor? Das sollte interessant werden.«
Ihr zaghaftes Lächeln verschwand. »Ich bin mir durchaus darüber im klaren, dass ich in deinen Augen viele Fehler habe, und mir ist auch klar, dass mir eine schwierige Aufgabe bevorsteht. Es wird selbstverständlich sehr schwierig werden, den hohen Maßstäben gerecht zu werden, die deine erste Frau gesetzt hat. Aber ich habe das sichere Gefühl, mit genug Zeit und Geduld kann ich ein gewisses Maß an...«
»Meine erste Frau war ein verlogenes, hinterhältiges, treuloses Miststück«, sagte Harry seelenruhig. »Das allerletzte, was ich von dir will, ist, dass du in ihre Fußstapfen trittst.«
9. Kapitel
Augusta starrte Harry an und schwieg schockiert. »Das verstehe ich nicht«, brachte sie schließlich mühsam hervor. »Ich — eigentlich geht es allen so —, ich hatte den Eindruck, dass deine erste Frau eine äußerst bewundernswerte Frau war.«
»Das ist mir klar. Ich habe keinen Grund gesehen, die ganze Welt von dieser Meinung abzubringen und sie eines Besseren zu belehren. Vor der Heirat habe auch ich Catherine für ein Musterbild weiblicher Tugend gehalten.« Harrys Mund verzog sich bitter. »Du kannst sicher sein, dass sie sich während unserer Verlobungszeit gehütet hat, mir mehr als ein paar keusche Küsse zu gestatten. Natürlich habe ich ihren Mangel an Wärme für wahre Tugend gehalten.«
»Ich verstehe.« Augusta errötete glühend, als sie sich daran erinnerte, wie viel sie Harry vor der Hochzeit gestattet hatte.
»Erst als ich in unserer Hochzeitsnacht festgestellt habe, dass sie so kalt war wie während
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