Rendezvous
Bibliothek. Harry stand hinter seinem blankpolierten Schreibtisch auf.
Augusta warf einen einzigen Blick auf ihn, und das heitere Lächeln schwand aus ihrem Gesicht. Das Mädchen hatte die Lage richtig erkannt. Harry war in einer finsteren und riskanten Stimmung.
Augusta drängte sich gewaltsam auf, dass sie ihn noch nie so kalt und zielstrebig gesehen hatte. Seine markanten und jetzt so grimmigen Gesichtszüge hatten entschieden etwas Raubtierhaftes.
»Du wolltest mich sprechen?«
»Ja, allerdings.«
»Falls es sich um die Party drehen sollte, dann kann ich dir zu deiner Beruhigung versichern, dass alles unter Kontrolle ist. Die Einladungen sind vor ein paar Tagen abgeschickt worden, und wir haben bereits die ersten Antworten mit der Post bekommen. Ich habe Musiker kontaktiert, und das Küchenpersonal hat schon begonnen, die Lebensmittel zu bestellen.«
»Deine Party interessiert mich nicht die Bohne«, fiel ihr Harry grimmig ins Wort. »Ich hatte gerade eben ein absolut faszinierendes Gespräch mit meiner Tochter.«
»Ja?«
»Sie hat mir erzählt, dass du an dem Tag, an dem ihr das Picknick veranstaltet habt und du die Tugenden deines Bruders so hoch gelobt hast, ein gewisses Gedicht erwähnt hast, das er dir überlassen hat.«
Augustas Mund wurde trocken, obwohl sie keine Ahnung hatte, wohin das alles führen sollte. »Ja, das stimmt.«
»Es scheint, als sei es in diesem Gedicht um Spinnen und deren Netze gegangen.«
»Es ist nur ein schlichtes kleines Gedicht, nichts weiter. Ich hatte nicht vor, es Meredith zu zeigen, falls du das befürchten solltest.•
Harry ging nicht auf ihre hastigen Beteuerungen ein. »Das bereitet mir auch keine Sorgen. Bist du noch im Besitz dieses Gedichts?«
»Ja, selbstverständlich.«
»Hol es augenblicklich. Ich will es sehen.«
Ein Schauer durchzuckte Augusta. »Ich verstehe nicht, Graystone. Weshalb solltest du Richards Gedicht sehen wollen? Es ist kein besonders gutes Gedicht. Größtenteils ist es sogar ziemlich unsinnig. Es sind im Grunde genommen abscheuliche Verse. Ich habe es nur aufgehoben, weil er es mir in der Nacht seines Todes in die Hand gedrückt und mich gebeten hat, es sicher aufzubewahren.« Tränen brannten in ihren Augen. »Es war mit seinem Blut beschmiert, Harry. Ich konnte es nicht wegwerfen.«
»Geh und hol das Gedicht, Augusta.«
Sie schüttelte verwirrt den Kopf. »Weshalb musst du es sehen?« Dann kam ihr plötzlich ein Gedanke. »Hat es etwas mit dem Verdacht zu tun, den du gegen ihn hegst?«
»Das kann ich dir nicht sagen, solange ich das Gedicht nicht gesehen habe. Bring es mir jetzt sofort, Augusta. Ich muss es mir ansehen.«
Sie wich unsicher einen Schritt zur Tür zurück. »Ich bin nicht sicher, ob ich es dir zeigen will. Jedenfalls nicht, solange ich nicht weiß, was du damit beweisen zu können glaubst.«
»Es könnte mir ein paar Fragen beantworten, die ich mir schon seit langer Zeit stelle.«
»Fragen, die mit Spionen zu tun haben?«
»Es besteht eine geringe Möglichkeit.« Harry brachte jedes dieser Worte durch zusammengebissene Zähne heraus. »Es ist unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen. Vor allem, falls dein Bruder für die Franzosen gearbeitet hat.«
»Er hat nicht für die Franzosen gearbeitet.«
»Augusta, ich will nichts mehr von den ausgeklügelten Theorien hören, die du dir zurechtgefeilt hast, um die Umstände zu beschönigen, unter denen Richard Ballinger gestorben ist. Bis jetzt hatte ich keine Einwände dagegen, dass du an deinen Illusionen festhältst, solange du willst. Ich habe dich sogar aktiv dazu ermutigt. Aber dieses Gedicht über eine Spinne und ihre Netze ändert alles.«
Augusta nahm ihren gesamten Mut zusammen, und ihre Gedanken überschlugen sich. »Ich zeige es dir nur, wenn du mir versprichst, nicht zu versuchen, anhand dieses Gedichtes zu beweisen, dass sich Richard des Verrats schuldig gemacht hat.«
»Mich interessiert nicht im geringsten, ob er schuldig oder unschuldig ist. Ich brauche Antworten auf meine eigenen Fragen.«
»Aber während du die Antworten auf deine eigenen Fragen suchst, könnte es durchaus passieren, dass du gleichzeitig Richards Schuld zu beweisen trachtest. Das stimmt doch, oder nicht?«
Harry kam mit zwei langen Schritten hinter seinem Schreibtisch hervor. »Bring mir das Gedicht, Augusta.«
»Nein, es sei denn, du gibst mir dein Wort darauf, dass das, was du dort entdecken könntest, Richards Andenken in keiner Weise schaden wird.«
»Ich kann dir nur
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