René Schnitzler. Zockerliga: Ein Fußballprofi Packt Aus
Auto, packt Schnitzler und zwingt
ihn, die Tabletten wieder auszuspucken. »Ich dachte damals, der wollte sich umbringen, deshalb habe ich erstmal geguckt, was der vorhatte. Und dann waren das tatsächlich Schlaftabletten, die er sich in den Mund gesteckt hat. Heute glaube ich aber, dass er mir nur etwas vorgespielt hat«, sagt Kosta. Schnitzler bestätigt das. »Ich wollte sein Mitleid wecken, damit er 4 000 Euro übernimmt, die ich dringend jemandem geben musste.«
Das Leben will sich Schnitzler nicht nehmen, doch tatsächlich grübelt er jetzt manche Stunde, wie er entstandene Schäden regulieren kann. Eine Lösung findet er nicht und beschreitet deshalb entschlossen den Weg weiter, den viele Spieler gehen: Er spielt weiter und hofft auf den ganz großen Gewinn. Der soll ihn mit einem Schlag von all seinen Sorgen befreien.
Der FC St. Pauli bezahlt jetzt einen umtriebigen Vollzeitzocker, der sein Gehalt keineswegs mehr mit sportlicher Leistung zurückzahlt. Es läuft bescheiden für den St. Pauli-Stürmer René Schnitzler in seinem zweiten Jahr in Hamburg. Nur zwölf Spiele bestreitet er insgesamt, am dritten Spieltag gelingt ihm beim 4:1 gegen Oberhausen sein einziger Saisontreffer. Schnitzler spielt mit einem Verband am linken Unterarm, er hat sich ein neues Tattoo stechen lassen, ein Kreuz. Bis zum sechsten Spieltag ist er im Sturm gesetzt, danach wechselt ihn Holger Stanislawski nur noch sporadisch ein.
Ohne Punktprämien rutscht er in der Gehaltshierarchie ab, er muss mit seinem Grundverdienst auskommen, den er manchmal in wenigen Stunden verspielt. Das Glücksspiel beansprucht ihn immer mehr, damit genug Zeit dafür bleibt, versucht Schnitzler, alles andere schnell zu erledigen.
Dass sich das Leben des Stürmers vor allem um Poker dreht, bleibt in der Kabine nicht verborgen. Schnitzlers Hauptthema dort ist das Zocken. Zwar spielen mehrere Profis Online-Poker, mehrere platzieren auch Wetten. Aber niemand handelt dabei so extrem wie Schnitzler.
Einige Profis vergnügen sich nach den Spielen auf dem Kiez in schummrigen Kneipen, wo niemand danach fragt, mit wem man die Nacht verbringt. Die meisten allerdings gehen lieber nach Hause zu ihren Familien. Für Schnitzler sind das Streber. »Wir waren schon eine komische Mannschaft. Aber Spaß konnte man trotzdem haben.«
Oft erscheint Schnitzler mit verquollenen Augen beim Training, schwerfällig läuft er seine Aufwärmrunden. »Schnitzel, lauf schneller«, ruft Stanislawski dann über den Platz. Aber selbst wenn er gewollt hätte – Schnitzler hat das Gefühl, er kann nicht schneller laufen. »Ich schaffte es nicht mehr, richtig Leistung bringen. Dafür war ich zu müde im Kopf.« Oft hat er nachts viel Geld verloren, das er nun lieber zurückholen will, statt zu trainieren. Schnitzler ist dann gereizt, benommen wie im Jetlag und doch zugleich unruhig und elektrisiert. Vom Spieltisch zum Training und wieder zurück an den Spieltisch, an nicht nur einem Tag ist das sein Rhythmus. Wenn Sara ihn anspricht, auf das Spielen, auf die Schulden, auf das Leben, das sie führen, hört Schnitzler nicht zu. »Sie hat doch gesehen, dass ich spiele«, sagt Schnitzler wie einer, der es sich verbietet, bei der Schwerstarbeit gestört zu werden. »Ich bin froh, dass es nicht passiert ist, aber wenn sie mich damals verlassen hätte, wäre mir das wahrscheinlich egal gewesen.«
Wenige Meter von seiner Wohnung entfernt holt sich Schnitzler fast jeden Mittag bei einem Bäcker Spaghetti Bolognese. Er nutzt dafür die fünf Minuten Pause, die
den Spielern bei großen Online-Pokerturnieren zur vollen Stunde eingeräumt werden. Schnitzler lässt sich die Nudeln einpacken und hastet zurück an seinen Monitor. Er zeigt die Disziplin, die ihn im Fußball weit gebracht hätte.
Ein Leben ist das nun, das er selbst nicht mehr versteht und einfach geschehen lässt. Den letzten Rest an Kontrolle verliert er, als er sich im Winter 2008 verletzt. Die Diagnose der Ärzte ist eigentlich niederschmetternd: Schnitzler hat sich die Leiste doppelt gebrochen, er wird operiert und muss mindestens drei Monate pausieren. Er nutzt die Zeit der Verletzung.
Wenn Sara zurückkommt von den Spaziergängen, sitzt Schnitzler nun manchmal da und liest. Sara wundert sich, auf sie wirkt das so unwirklich, als tanze ihr Freund Ballett. Seite für Seite arbeitet Schnitzler Bücher des amerikanischen Pokerprofis Dan Harrington durch. Er ist selbst erstaunt, dass er das schafft: »Ich bin absolut kein Mensch,
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