Renegade
winden.
»Warum behandelst du
seine Wunden? Du sollst ihm Informationen entlocken.«
»Das tue ich,
Mutter. A-aber er war schwer verletzt. Er konnte nicht antworten. AuÃerdem
musste ich erst sein Vertrauen zurückgewinnen. Nachdem die Wachen ihn
verprügelt hatten, war nichts mehr davon übrig.«
Sie fragt nur: »Was
hat er dir gesagt?«
Die Information
bezüglich der Wachen hat offensichtlich nicht die Wirkung, auf die ich gehofft
hatte, und nun fällt es mir immer schwerer, ihrem bohrenden Blick
standzuhalten. Ich verdrehe die Wahrheit â es wäre katastrophal, wenn sie mir
die Lüge anmerkt. Das würde sie mir niemals verzeihen. Wieder frage ich mich,
warum ich Gavin eigentlich helfe, habe aber immer noch keine Antwort darauf.
»Nichts, nur, dass
er durch einen der Notausgänge gekommen ist.«
Sie kneift die Augen
zusammen und wendet sich ab. Automatisch folge ich ihrem Blick. Er ist auf
Gavin gerichtet, der ihn finster erwidert.
»Erinnert er sich
noch daran, auf welchem Weg er hergekommen ist?«, fragt sie weiter. Ihre Miene
ist nun vollkommen ausdruckslos. Die Wut, die ich gerade noch in ihren Augen
gesehen habe, ist verschwunden. Jegliche Emotion ist verschwunden. Das ist noch
schlimmer als ihre Wut. Ich schlucke, was sich als schwierig herausstellt, da
mein Mund staubtrocken ist. »Nein«, quetsche ich schlieÃlich hervor. »Er sagt,
nachdem sein Freund die DNA -Kamera ausgelöst hat,
sei alles so schnell gegangen.« Natürlich habe ich keine Ahnung, ob es so war,
aber jede andere Antwort würde ihn in Gefahr bringen.
»Selbstschussanlage«,
korrigiert sie mich. »Der andere hat eine Selbstschussanlage ausgelöst. Mehr
hast du nicht aus ihm rausgekriegt?«
»Nein. Durch die
Infektion und die Medikamente, die ich ihm geben musste, ist er ziemlich
benommen.«
Mutters Lippen
werden schmal. »Wir müssen so schnell wie möglich Antworten bekommen. Irgendwann
ist der Punkt erreicht, an dem die Gefahr, die er darstellt, den Wert seiner
Informationen überwiegt. Wenn er es geschafft hat,
hier einzudringen, gelingt es anderen vielleicht auch. AuÃerdem möchte ich nicht,
dass meine einzige Tochter verletzt wird.« Sie lächelt mich an, und sofort
entspanne ich mich. »Die Oberflächenbewohner sind sehr manipulativ, und du bist
ja so naiv.« Mit einer eleganten Geste entlässt sie mich und wendet ihren Blick
wieder Gavin zu. »Dein Therapeut wartet bereits.«
Während ich mich
eilig entferne, atme ich erleichtert auf, wage es aber nicht, mich noch einmal
nach Gavin umzusehen. Ich kann nur hoffen, dass Mutter nicht persönlich da
weitermacht, wo ich aufgehört habe.
Auf meinem Weg zum
medizinischen Sektor, wo Dr. Friar seine Praxis hat, werde ich von Wachen
begleitet. Wären sie nicht dabei, würde ich hin und wieder stehen bleiben und
mit den Ladenbesitzern plaudern, die sich in einem geordneten Chaos auf dem
Markt in Sektor Zwei tummeln, den wir auch den GroÃen Platz nennen.
Wie die anderen
Sektoren auch bildet Zwei ein eigenständiges Bauwerk, das durch Glasröhren mit
den übrigen Sektoren verbunden ist. Sektor Zwei ist der gröÃte von allen, und
der GroÃe Platz nimmt wiederum den meisten Raum in ihm ein. Es gibt hier zwar
keine mehrstöckigen Bauten, doch die gewölbte Glaskuppel und die gläsernen
Wände sind mehrere Meter hoch. So ist der Ozean ständig zu sehen, genau wie in
meinem Garten. Mutter sagt, der GroÃe Platz sei so gestaltet worden, dass er
den Zentren der Vorkriegsstädte an der Oberfläche ähnelt, es gibt sogar kleine
Gässchen und Sackgassen. Zusammen scheinen sie auf den ersten Blick keiner
besonderen Planung unterworfen, doch Mutter hat die Geschäfte so angeordnet,
dass die Leute besonders leicht und ohne Behinderung von einer Seite des
Platzes zur anderen gelangen und damit problemlos alles bekommen können, was
sie brauchen. Rund um den zentralen Springbrunnen und an verschiedenen anderen
Stellen gibt es sogar Rasenflächen mit hübschen Bäumen, wo man Picknick machen
oder kleine Feiern abhalten kann.
Wenn sie nicht
gerade arbeiten, können die Bürger tun, was immer sie wollen â solange es nicht
gegen das Gesetz verstöÃt. Dafür sorgen die Vollstreckerinnen. Aus Mutters
Lektionen weià ich, dass die zweitausend Bürger von nur zwei Dutzend
Vollstreckerinnen im Zaum gehalten werden, doch sie
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