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Renegade

Renegade

Titel: Renegade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. A. Souders
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haben die abschreckende
Fähigkeit, innerhalb kürzester Zeit an jedem beliebigen Ort zu erscheinen,
sodass es den Anschein erweckt, als wären sie überall. Selbst ich, die Tochter
des Volkes, kann nicht sicher sagen, wie viele von ihnen mich gerade
beobachten.
    Heute ist der Große
Platz voller als üblich, denn morgen findet das Freudenfest statt. An diesem
Tag feiern wir die Gründung unserer Stadt, und die Bürger bereiten sich eifrig
darauf vor. Am liebsten würde ich mich unter sie mischen, aber leider bin ich
in Begleitung meiner Wachen, und mir bleibt keine Zeit für Small Talk. Also
eile ich, ohne nach links und rechts zu sehen, über den Platz, doch trotzdem
verbeugen sich die Bürger, wenn ich an ihnen vorbeikomme. Hinter der Sushibar
biege ich rechts ab und gehe durch die Glasröhre, die mich zum medizinischen
Sektor bringt.
    Ich war schon immer
der Meinung, dass Dr. Friars Sprechstundenhilfe zu unseren schönsten Frauen
zählt. Zwar sind alle Bürger blond und blauäugig, aber sie hat etwas
Außergewöhnliches an sich – wenn auch natürlich nicht ganz so außergewöhnlich
wie Mutter. Ich danke ihr mit einem Lächeln, als sie mich in Dr. Friars
Sprechzimmer führt. Noch in der Tür zögere ich kurz und frage mich wie bei
jedem meiner Besuche, warum er für das Sprechzimmer ausgerechnet einen Raum
ohne Fenster gewählt hat. Wenn er andere Räumlichkeiten wollte, müsste er doch
nur Mutter darum bitten. Bei seiner Position würde sie ihm sicher alles
genehmigen, was er sich wünscht.
    Dr. Friar erwartet
mich wie immer mit einem Lächeln, das mich einerseits beruhigt, bei dem sich
mir aber gleichzeitig die Nackenhaare aufstellen. Ich weiß nicht, warum er so
starke und widersprüchliche Gefühle in mir weckt. Heute fällt mir jedoch auf,
dass seine Zähne rötlich verfärbt sind. Mir ist klar, dass er sicher nur
irgendetwas Färbendes gegessen hat, aber trotzdem fühle ich mich plötzlich
unwohl. Wie üblich trägt er einen taubenblauen Anzug, ein makellos weißes Hemd
und eine bordeauxrote Krawatte. Das leicht schüttere Haar hat er aus der Stirn
gekämmt. Rund um die wässrigen blauen Augen und den schmalen Mund haben sich
Falten in seine Haut gegraben, wahrscheinlich, weil er so viel lächelt. Er
sitzt hinter seinem massiven Rosenholzschreibtisch, dessen Arbeitsfläche durch
eine Glasplatte geschützt wird. Der Tisch ist bei jedem Besuch vollkommen
gleich: Tacker, Stiftschale, Telefon, Tablet- PC und
die dunkelbraune Lederunterlage sind akkurat arrangiert. Dr. Friars
verschränkte Hände ruhen auf der Schreibunterlage.
    Â»Und, Evelyn, bist
du bereit für unsere heutige Sitzung?« Er bedeutet mir, Platz zu nehmen, und
ich lasse mich in den Ledersessel vor seinem Schreibtisch sinken.
    Â»Ja.
Es ist so schön, jemanden
zu haben, mit dem man reden kann.«
    Dr. Friars Lächeln
erstrahlt, offenbar ist er zufrieden mit mir. »Sehr schön. Weißt du, warum
Mutter darum gebeten hat, dass du jetzt zu mir kommst?«
    Â»Nein.«
    Er nickt, als hätte
er nichts anderes erwartet, dann steht er auf und geht zu einem Wandschrank.
Einer Schublade entnimmt er ein Metallkästchen, kehrt damit zum Schreibtisch
zurück und hockt sich auf die Kante.
    Â»Mutter sagte mir,
du würdest dich um den Oberflächenbewohner kümmern«, beginnt er.
    Vorsichtig mustere
ich das Kästchen. Irgendwie kommt es mir bekannt vor, aber ich weiß nicht
genau, woher. »Ja, er war krank.«
    Â»Und hast du dabei
gar nicht an die Konsequenzen gedacht?« Er tippt mit einem Finger auf das
Kästchen.
    Kurz sehe ich ihm in
die Augen, dann richte ich den Blick auf die Wand hinter ihm.
Es ist unhöflich, einem Mann direkt in
die Augen zu sehen.
»Konsequenzen?«
    Wieder lässt er sein
Lächeln erstrahlen, so als hätte er genau gewusst, dass ich das sagen würde.
»Du gibst doch selbst zu, dass er krank ist. Er könnte dich infizieren.
Erinnerst du dich denn nicht mehr an deine Geschichtslektion über die
Epidemie?«
    Â»Oh.« Meine Augen
wandern zurück zu dem Kästchen. Dr. Friar streichelt es, als wäre es ein Kuscheltier.
    Â»Außerdem ist er nur
ein Oberflächenbewohner. Er ist es nicht wert, dass wir unsere kostbaren
Ressourcen an ihn verschwenden oder dass die Tochter des Volkes sich um ihn
kümmert. Noch dazu am Tag vor dem

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