Renegade
auslöst.
Nun sieht Gavin mir
doch in die Augen; sein Blick ist schwer zu entschlüsseln. »Ich will dir nicht
wehtun.«
Mein Magen kribbelt
plötzlich. »Tja, das ist jetzt aber dumm«, sage ich schnell. »Denn es wird
wehtun. Und das wird keiner von uns verhindern können, also musst du es einfach
tun.« Er hockt reglos da und sieht mich an. Da ich weiÃ, dass ich ihn irgendwie
überzeugen muss, lege ich meine gesunde Hand sanft an seine Wange. »Bitte.«
Entschlossen schiebt
er den Unterkiefer vor. Dann fädelt er meinen Arm aus dem Ãrmel meines Kleids,
drückt mich mit dem Rücken an die Wand und desinfiziert sich mit einem
antiseptischen Tuch die Finger. »Ich entschuldige mich hiermit im Voraus.« Dann
schiebt er einen Finger in die Wunde, und ich beiÃe die Zähne zusammen, damit
ich nicht laut schreie. Um nicht das Bewusstsein zu verlieren, kratze ich mit
der gesunden Hand über den Betonboden. Mir ist schwindelig, und vor meinen
Augen flackern rote und schwarze Punkte. Meine Zehen verkrampfen sich. Mehrmals
möchte ich ihn am liebsten anflehen, aufzuhören, halte mich aber zurück. Ich
habe das von ihm verlangt. Er muss das jetzt tun.
»Erzähl mir etwas
von dir«, presse ich mühsam hervor.
»Hä?«
»Bitte, ich muss
mich ablenken. Erzähl mir von dir.«
»Ãh, okay. Wie
gesagt, ich bin das mittlere Kind, und das ist echt grottig.«
»Grottig?«
Gavin schluckt
verkrampft. »Es gefällt mir nicht.«
»Warum nicht?«
»Na ja, man ist
immer an allem schuld. Und entweder ist man nicht alt genug, um bestimmte
Sachen zu tun, oder man ist alt genug, um es besser zu wissen. Das paradoxe
Schicksal aller mittleren Kinder.«
Ich zucke zusammen,
und er spricht hastig weiter: Er spielt gerne etwas, das sich Baseball nennt.
AuÃerdem »surft« er gerne, eine Tätigkeit, bei der man offenbar Unmengen von
Zeit damit verbringt, auf einem Holzbrett über die Wellen zu gleiten. Sein
Vater hat ihm beigebracht, wie man angelt, und sein GroÃvater hat ihn das Jagen
gelehrt, aber beide sind gestorben, als er noch klein war. Und er vermisst sie.
Seine GroÃmutter hat er nie kennengelernt; sie ist während des Krieges
gestorben, kurz nach der Geburt seiner Mutter. Von seiner Mutter hat er
gelernt, wie man kocht, vor allen Dingen, wie man ein »Spitzensteak«
zubereitet, was auch immer das sein mag. Doch er schwört, dass selbst ich als
Vegetarierin bei diesem Geschmack in Verzückung geraten würde. Er erzählt mir
von seiner nervtötenden Schwester, die bald heiraten wird und deshalb ständig
entweder himmelhochjauchzend oder tödlich gereizt ist. Und dass sein Bruder die
reinste Pest ist, wenn man ihn mitnimmt auf die Jagd: weil er noch so klein ist
â noch keine zehn â und nie die Klappe hält. Deswegen wollte er statt ihm ja
auch seinen Freund Con mitnehmen, der von der Selbstschussanlage getötet wurde.
Denn an diesem Tag sehnte er sich nach Ruhe und Frieden, und Con war der
ruhigste Junge im ganzen Dorf. Als uns bewusst wird, dass er beinahe seinen
Bruder verloren hätte, sind wir beide bedrückt.
Gavin beugt mich
nach vorne und untersucht die Austrittswunde an meinem Rücken, dann darf ich
mich wieder an die Wand lehnen. »Keine Kugel und auch keine Splitter. Sie ist
glatt durchgegangen, wie du gesagt hast.«
In meiner Kehle hat
sich ein dicker Klumpen gebildet. »Gut, dann muss die Wunde nur gereinigt,
versiegelt und verbunden werden. Der Stab wird hierbei nicht helfen, die Wunde
ist zu tief.«
»Bist du sicher?
Wäre es nicht besser, wenigstens zu versuchen, die Wunde damit zu schlieÃen,
und zu hoffen, dass es funktioniert?«
»Nein, nur, wenn es
gar nicht mehr anders geht. Sonst reiÃe ich sie bloà wieder auf und mache
dadurch alles noch schlimmer. Der chemische Blutstiller muss reichen.« Ich
deute auf die silberne Packung im Erste-Hilfe-Kasten. »Schieb einfach auf beiden
Seiten der Wunde je ein Schwämmchen hinein. Das wird die Blutung stillen und
hilft gegen Infektionen.«
Gavin reiÃt die
Packung auf und platziert vorsichtig die beiden Schwämmchen. Mir steigen Tränen
in die Augen, und ich schwanke leicht, als der Schwindel wieder einsetzt.
»Alles klar?«, fragt
Gavin besorgt.
»Ja. Das Mittel
brennt, aber das geht vorbei.« Ich lehne mich wieder gegen die Wand und hoffe,
dass ich damit recht
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