Renner & Kersting 02 - Mordswut
Mutter hätte längst etwas unternehmen müssen.
Ergeben fragte Helga: „Soll ich deine Mutter anrufen?“
„Ja.“
Wie gestern wunderte diese sich nicht über den Anruf, sondern versprach, schnellstens zu kommen. Was sie auch tat. Als sie genauso schnell wieder verschwinden wollte, versperrte Helga ihr den Ausgang. Jetzt wollte sie endlich wissen, was hinter Brittas Bauchweh steckte und ob die Frau schon etwas dagegen unternommen hatte. Doch die wich aus. Sprach von Schulangst, was nun wirklich nicht stimmen konnte, da das Kind während des Unterrichts prima mitgearbeitet hatte, und dass Britta eben sehr sensibel sei. Sie müsse vielleicht doch mal zum Arzt, wenn sich nichts änderte, meinte sie am Schluss und drängte sich an der Lehrerin vorbei. Da die es ebenfalls eilig hatte, sagte sie nichts weiter.
Nachdem Helga ihre Bastelarbeiten beendet hatte, zwang der Hunger sie an den Herd. Sie entschied sich für Nudeln mit Sauce Bolognese. Das ging schnell und machte wenig Arbeit. Eine Flasche Rotwein besaß sie auch noch. Klaus brachte ab und zu eine Flasche mit, und zu ihrer eigenen Überraschung hatte sie festgestellt, dass ihr der Rotwein ebenso gut schmeckte wie der Weiße.
Der Lokalsender hatte die Weltpolitik mit wenigen Sätzen abgehakt, es folgten die Lokalnachrichten. Irritiert blickte Helga auf den dicken Brummer, der plötzlich aufgetaucht war und den chinesischen Lampion umkreiste, der von der Decke hing. Die Nachrichten aus den hiesigen Vereinen interessierten sie nicht. Was konnte es schon Aufregenderes geben als Neuwahlen diverser Vorsitzender?
Doch plötzlich entglitt die Gabel ihren gefühllos gewordenen Händen. Scheppernd landete sie auf den Fliesen des Küchenbodens und verursachte dort blutrote Spritzer. Helga sprang auf und merkte nicht, wie sie die Flasche umstieß. Ein Schwall roten Weines ergoss sich über den Tisch und schwappte zu Boden, wo er sich mit der Sauce zu einem surrealen Gebilde vereinigte. Sie rannte ins Wohnzimmer und drehte den Lautstärkeregler auf. Stocksteif stand sie vor dem kleinen Gerät und konnte nicht glauben, was sie da hörte.
„... wurde heute Nachmittag der Arzt Dr. Josef Kowenius tot in seiner Wohnung in Hohenlimburg aufgefunden. Nach Auskünften der Polizei handelt es sich um eine Gewalttat. Wer zweckdienliche Mitteilungen machen kann, rufe bitte ...« Den Rest bekam sie schon nicht mehr mit. Fassungslos tastete sie nach einem Sessel und ließ sich hineinfallen. Das konnte doch nicht wahr sein! Ausgerechnet Josef Kowenius! Der Mann, den Andrea übermorgen heiraten wollte. Seit Tagen sorgte die Hochzeit für Gesprächsstoff im Kollegium. Und jetzt, da die Lehrerinnen den Rektor endlich überredet hatten, nach der Trauung Spalier zu stehen, Kinder aus Andreas Klasse zum Mitkommen eingeladen und ihnen ein Lied beigebracht hatten, jetzt sollte eine der Hauptpersonen dieses großen Ereignisses tot sein? Einfach nicht mehr da? Da musste sich jemand geirrt haben! So etwas gab es nicht.
Helga hatte das Gefühl als drehten sich glühende Räder in ihrem Kopf und konnte keinen vernünftigen Gedanken fassen. Man kommt doch nicht zwei Tage vor der Hochzeit zu Tode! Und was war mit Andrea? Der Nachrichtensprecher hatte sie nicht erwähnt. Sie war heute Morgen erst kurz vor dem Schellen erschienen und hatte sich mit einem Stau auf der A46 zwischen Hohenlimburg und Hagen entschuldigt, was ihr einige spöttische Bemerkungen über Bräute, die nicht abwarten können, eingebracht hatte. In der großen Pause hatte sie diese dann gutgelaunt zurückgegeben und dermaßen gestrahlt, dass Reiser sie grinsend mit einem Weihnachtsbaum verglich. Nun sollte plötzlich alles vorbei sein? Und außerdem ...Was bedeutete „Gewalttat«? Sollte das etwa heißen, dass jemand ihn getötet – ihn ermordet hatte? Das schien ausgeschlossen. So wie Andrea von ihm gesprochen hatte, besaß er keine Feinde. Und selbst wenn ... wer wäre so grausam, ihn kurz vor der Hochzeit umzubringen? Dr. Kowenius war bei seinen Patienten beliebt. Auch einige Kolleginnen gingen zu ihm, wie sie wusste. Er besaß einen hervorragenden Ruf, und sein Wartezimmer war stets gut gefüllt. Was mochte da nur geschehen sein?
Verdammt, sie musste sofort Andrea anrufen. Vielleicht konnte Helga ihr helfen. Andrea besaß keine Verwandten hier in der Stadt und nur wenige Freunde. Wie mochte sich die Frau fühlen, noch nicht verheiratet und schon Witwe? Mit schweren Schritten eilte Helga zum Telefon. Sie kannte die Nummer
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