Renner & Kersting 02 - Mordswut
hat Angst, allein zu gehen, und du siehst aus, als wärst du ein prima Beschützer.«
Das schien ihm zu gefallen, denn er nickte zustimmend. „Klar, mach ich.«
Der Vormittag war geschafft. Und Helga auch. Am liebsten hätte sie sich in ihr Sofa gekuschelt und einen Mittagsschlaf eingeschoben. Aber ihr Versprechen, das sie Raesfeld gegeben hatte, ließ ihr keine Ruhe. Zuerst brauchte sie jedoch eine Stärkung. Der Kühlschrank zeigte sich dabei wenig hilfreich. Aus Butter, Käse und verwelkter Petersilie ließ sich auch bei größter Kreativität keine Mahlzeit herstellen. Glücklicherweise fand sie im Tiefkühlfach noch eine Suppe. Während diese auf dem Herd langsam auftaute, rief Helga Ali an. Sie hatte Anne-Liese Merklin vor eineinhalb Jahren recht gut kennen gelernt, als diese sie, Helga, überredet hatte, eigenständig Nachforschungen anzustellen, wer für den Tod der Kinder verantwortlich sein könnte. Seitdem hatten die beiden Frauen häufig telefoniert, sich aber nur selten getroffen. Anne-Liese engagierte sich überall, wo sie meinte, gebraucht zu werden, in ihrer Kirchengemeinde, bei Veranstaltungen des Gymnasiums, das ihre Älteste besuchte, oder der Grundschule, sie half bei Engpässen in Kiosken oder im Blumenladen aus und stand auch schon mal in der Suppenküche, wo sie Essen an Obdachlose verteilte. Für ihre schier unerschöpfliche Energie brauchte sie ein Ventil, nur festlegen mochte sie sich nicht. Sie liebte die Abwechselung, die spontanen Einsätze, die plötzlichen Hilferufe, die keine Zeit zum langen Planen ließen. Da ihr Mann genug verdiente, konnte sie sich ihre Tätigkeiten aussuchen.
Das Telefongespräch war kurz, weil Ali das Essen für sich und ihre Töchter zubereiten musste. „Wir haben diese Woche schon zweimal Pizza kommen lassen, weil ich keine Zeit hatte. Jetzt hängt sie uns zum Hals heraus. Gestern habe ich versprochen, mal wieder richtig zu kochen. Wir sehen uns um halb drei bei Tigges, ja? Jetzt muss ich Schluss machen, sonst verbrennen meine Schnitzel. Bis nachher!« Damit legte sie auf. Inzwischen schien auch Helgas Suppe fertig zu sein, dem Duft nach zu urteilen. Sie eilte in die Küche, schaltete nach einem prüfenden Blick in den Topf den Herd aus und rührte um. Hm, noch einmal kurz aufkochen, dann war es soweit. Wenn sie mit dem Auto führe, könnte sie sich nach dem Essen noch eine halbe Stunde hinlegen, überlegte sie und beschloss, dem Verkehrschaos zu trotzen.
Ganz so schlimm wie erwartet war es dann doch nicht. Der Großteil der Baustellen war inzwischen beseitigt, das Verkehrsaufkommen um die Mittagszeit nicht allzu hoch. Trotzdem kam es auf dem Bergischen Ring zu einem kurzen Stau. Helga fluchte. Was nützte der Ausbau, wenn jemand eine Fahrspur als Parkplatz missbrauchte, weil in der Imbissbude eingekauft werden musste?
Im Café wurde Helga schon von Ali erwartet, die einen Tisch am Fenster belegt hatte und ihr ungeduldig entgegen sah, die unvermeidliche Zigarette in der Hand. Helga hatte den Mantel noch nicht ausgezogen, als sie auch schon loslegte: „Also sag, was ist passiert? Du warst ja furchtbar geheimnisvoll am Telefon.« Sie rauchte ein paar hastige Züge, dann drückte sie die Kippe im Ascher aus. Ihre linke Hand spielte mit einer fast leeren Packung, während sie Helga auffordernd ansah. Die setzte sich erst einmal und betrachtete ihr Gegenüber. Ali schien schmaler geworden zu sein seit ihrem letzten Treffen, und die grauen Strähnen im blonden Haar hatten sich auch vermehrt. Noch fiel es kaum auf, aber wer genau hinsah, bemerkte die Zeichen des Alterns. Anne-Liese hasste es, bei ihrem eigentlichen Namen genannt zu werden. Sie bevorzugte die Abkürzung Ali. Anne-Liese schien ihr zu brav und unmodern. Ali war weder das eine noch das andere. Sie schüttelte die letzte Zigarette aus der Packung, schob sie in den Mund und zerknüllte das Papier zu einer Kugel, die sie achtlos auf den Tisch warf, bevor sie das Stäbchen anzündete. Das war etwas, woran Helga sich nicht gewöhnen konnte und auch nicht wollte. Veronikas Hefte, aus denen ihr regelmäßig der Zigarettenrauch entgegenquoll, ekelten sie an. Doch sie wusste auch, dass Ali nicht davon abzubringen war. Ihre diesbezüglichen Seitenhiebe wurden entweder kommentarlos ignoriert oder ins Lächerliche gezogen.
Erst als jede ein Kännchen Kaffee vor sich stehen hatte, berichtete Helga von der geplatzten Hochzeit und dem Wunsch des Rektors, die Unschuld der Kollegin zu beweisen.
„Und wenn
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