Renner & Kersting 03 - Mordsgier
von Hohlberg wiegt das kaum auf. Gut, dass wir mit denen nicht viel zu tun haben.«
Helga lachte. »Ich beabsichtige, mich häufiger in die höheren Gefilde zu begeben. Wer weiß, vielleicht sind die Informationen irgendwann mal nützlich.«
Sie hatten den Schulhof erreicht, und Brigitte Vobitz kam ihnen mit den Schülern entgegen. Im Vergleich zu den lärmenden Großen wirkten die Kleinen tatsächlich nett, fand Helga. Da die Entfernungen zwischen den einzelnen Schulen zu groß und der Verkehr zu dicht war, konnten die Lehrerinnen in den Pausen nicht von einer Schule zur anderen fahren, weshalb sie alle Fächer selbst unterrichten mussten.
Die meisten Beamten der Mordkommission waren ausgeschwärmt, um einzelne Lehrer und Schüler etwas gründlicher zu befragen – nicht nur nach ihren Beobachtungen am Montagmorgen. Seitdem vor einiger Zeit eine Lehrerin wegen einer Fünf in Deutsch erstochen worden war, kamen auch rachsüchtige Schüler als mögliche Täter in Betracht. Ob auch Helga in Gefahr schwebte? Selbst an der Grundschule waren bereits gewalttätige Väter aufgetaucht und hatten Lehrerinnen bedroht. Vor einiger Zeit hatte sie ihm erzählt, dass schon einmal der ältere Bruder eines Schülers mit einem Gewehr auf dem Schulhof herumgespielt hatte. Sie hatte es zufällig bemerkt und für ihre Pflicht gehalten einzugreifen, bevor die Pause begann und die Kleinen hinausstürmten. Damals hatte sie dem Jungen glauben wollen, dass die Waffe harmlos war, sonst hätte sie wohl nicht den Mut aufgebracht, ihn vom Schulhof zu weisen. Heute, viele Jahre und einige tote Lehrer später, wusste sie es besser und würde sich vorsichtiger verhalten. Gedanken dieser Art waren jedoch müßig, weshalb Kersting sich die Akte mit den Protokollen schnappte und sie zum wiederholten Male durchlas. Er fand keine Widersprüche, keine Ungereimtheiten, nichts wo er hätte einhaken können und beschloss, noch einmal mit Christina Zils zu reden. Sie hatte schließlich den Stein ins Rollen gebracht und wusste womöglich mehr als sie am Dienstag gesagt hatte. Da er sicher sein wollte, sie auch anzutreffen, meldete er sich telefonisch an.
Sie öffnete mit verquollenen Augen, ohne allerdings ihr Taschentuch so demonstrativ einzusetzen, wie die Ehefrau es getan hatte. Durch eine schmale Diele gelangten sie ins Wohnzimmer. Ein großes Bild von Wohlfang stand auf der Anrichte.
»Ich hatte recht, nicht wahr?«, fragte sie, sobald sie Platz genommen hatten. Kersting sah sich um. Das Zimmer wirkte wie ein falsch zusammengesetzter Flickenteppich. Der niedrige Tisch harmonierte mit Vitrine und Sideboard in hellem Holz, wozu die rotorange gemusterten Polster der Sitzecke gar nicht passten. Die Stehlampe mit den kegelförmigen Kunststoffschirmen schien noch aus der Wirtschaftswunderzeit zu stammen. Die Zils bemerkte seinen Blick. »Ich bin dabei, mich neu einzurichten. Rufus half mir bei der Auswahl der Möbel. Er hat mich immer gut beraten. Sogar beim Lesestoff.« Sie zeigte auf Torquato Tasso, der in preisgünstiger Ausgabe auf dem Tisch lag. Nicht unbedingt eine vergnügliche Entspannung nach Feierabend. »Eigentlich hatte ich ja keine Lust das zu lesen. Ich mag Krimis lieber«, sagte die Zils denn auch. »Aber Rufus meinte, das gehöre zur Allgemeinbildung, und ich wollte ihm den Gefallen tun.« Vermutlich hielt er sich für Antonio oder doch eher für Higgins, überlegte Kersting missvergnügt.
»Und werden Sie jetzt zu den Krimis zurückkehren?«
»Ich denke schon. Aber erst werde ich dies zu Ende lesen, einfach zum Andenken. Das ist das Letzte, was ich für ihn tun kann.«
»Hm!« Kersting konnte nicht entscheiden, wen er seltsamer fand, die Frau, die sich aus Liebe etwas so Langweiliges antat, oder den Mann, der auch seiner Geliebten gegenüber den Lehrer herauskehrte. Weiteres Nachdenken darüber verschob er auf später. »Sie haben gesagt, er wollte sich scheiden lassen. Wann hat er Ihnen das mitgeteilt?«
»Das war, warten Sie mal, vor den Herbstferien. Ich wollte so gern mit ihm für ein paar Tage verreisen. Und da hat er gemeint, wenn er erst geschieden wäre, hätten wir alle Zeit der Welt, um gemeinsam irgendwohin zu fahren. Er wollte nicht als ... als Ehebrecher dastehen. Verstehen Sie, als Lehrer steht er natürlich im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Und so waren wir immer sehr vorsichtig.«
»War seine Frau informiert?«
Die Zils zuckte die Schultern. »Ich bin nicht sicher, aber sie wusste von mir. Einmal saßen wir im
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