Renner & Kersting 03 - Mordsgier
voller Ironie und musste über sich selbst lachen.
7
Als es am nächsten Morgen zur großen Pause schellte, wusste Helga noch nicht, wie sie ihren Kolleginnen Elli Goppel und Brigitte Vobitz erklären sollte, dass sie das Lehrerzimmer aufsuchen wollte. Sie war froh, dass sie sich mit den beiden gut verstand. Denn wenn sie hier in der Diaspora mit Kolleginnen zusammenarbeiten müsste, die nur an sich selbst interessiert waren oder täglich ihren Frust abließen, wäre die Arbeit noch unerfreulicher gewesen. Brigitte hatte die Aufsicht übernommen und Elli wollte wie immer in ihrem Klassenraum Kaffee kochen.
»Danke nein«, sagte Helga. »Ich gehe rauf und hole mir heißes Wasser für meinen Tüten-Cappuccino. Ich bin nicht bereit, den blöden Bemerkungen länger auszuweichen. Außerdem brauche ich eine Deutschlandkarte, unsere sind alle eingelagert. Die können sie mir ja wohl leihen. Und wenn dieser Hohlberg noch einmal komisch wird, kriegt der die passende Antwort, das kannst du mir glauben. Ich sehe nicht ein, dass wir uns hier unten verkriechen, schließlich haben wir uns diese Schule nicht ausgesucht. Und einen Hauch von Gastfreundschaft darf man wohl erwarten, oder?« Sie hatte sich in Wut geredet.
»Meine Güte, was ist denn mit dir los? Ich dachte, du bist froh, dass wir hier unten unsere Ruhe haben.«
»Ich habe nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass unsere Ausweichtaktik wie eine Flucht wirken muss. Das lasse ich mir nicht nachsagen. Solange wir hier sind, haben wir auch gewisse Rechte! Kommst du mit oder soll ich allein in die Höhle des Löwen?«
Elli seufzte. Dann nickte sie zustimmend. »Wo du recht hast, hast du recht. Ich komme mit. Will nur eben Brigitte Bescheid sagen, dass es heute keinen Kaffee bei mir gibt.«
Weder Helga noch Elli hatten sich an die Größe des Systems gewöhnen können. Obwohl viele Lehrer sich in den Pausen lieber in ihren Fachräumen aufhielten, schien das Lehrerzimmer überfüllt zu sein. Ein Durcheinander lauter Stimmen empfing sie, und Nervosität und Hektik lagen in der Luft. Die Kollegen saßen in kleinen Gruppen beieinander oder eilten mit Büchern, Papieren oder Kaffeetasse in der Hand an ihnen vorbei.
»Aha, treibt die Neugier die Damen in unsere ehrenwerte Gesellschaft?«
»Nur der Wunsch nach heißem Wasser für meinen Cappuccino.« Auffordernd hielt Helga ihre Tasse hoch. Doch der vorlaute Kollege, seinen Namen kannten beide nicht, dachte gar nicht daran, aufzustehen. Er wies mit dem Kopf zur Küchenzeile. »Den Wasserkocher werden Sie ja wohl finden, auch wenn die Lampe kaputt ist und unser Hausmeister offenbar nicht daran denkt, sie endlich mal zu reparieren. Wenn Sie Glück haben, ist noch heißes Wasser da.«
In manchen Gruppen war das Gespräch verstummt, als sie eintraten, jetzt setzte es in voller Lautstärke wieder ein. Frau Meeren, eine sympathische Frau in ihrem Alter, kam auf beide zu. »Machen Sie sich nichts aus dem Geschwätz. Außer ein bisschen Fachwissen haben einige nichts drin im Kopf.« Spöttisch schaute sie über die Sitzenden hinweg. Doch die taten so, als hätten sie die herausfordernden Worte gar nicht gehört. »Sie können sich gern zu uns setzen, da ist noch Platz.«
»Wird dankend angenommen«, nickte Helga, die darauf wartete, dass der Kocher endlich Laut gab. Als die Tassen gefüllt waren, begaben sie sich in die Ecke, wo die Meeren mit einigen Kollegen saß.
»Geben Sie es ruhig zu, es war die Neugier, nicht das Wasser«, meinte ein hagerer, etwas blässlicher Mann mit rötlichem Haar, der sich als Oberstudienrat Thode vorstellte.
»Nachdem, was man so über Ihre Schule hört, sind Sie den Umgang mit der Polizei ja gewohnt.« Diese spitze Bemerkung kam von Frau Doktor Jibben, zuständig für Religion und Philosophie.
»Wie man sieht, ist auch ein Gymnasium vor Mord nicht gefeit«, konterte Helga schlagfertig. »Welcher Kollege hätte denn ein Motiv?«
»So eine Unverschämtheit verbitte ich mir. Wir sind eine anständige Schule!«, rief Thode, hochrot im Gesicht.
»Sehen Sie, wir haben die Erfahrung gemacht, dass man einem Menschen nur vor den Kopf sehen kann«, Helga sprach in einem Ton als hätte sie eine weltbewegende Entdeckung gemacht, die sie einem Kleinkind erklären müsse. »Niemand weiß, welche Gedanken und Empfindungen einen Täter zu seiner Tat treiben. Das muss die Polizei erst langsam herausfinden.«
»Frau Renner spricht aus Erfahrung, schließlich ...«
Helga unterbrach Elli abrupt.
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