Renner & Kersting 03 - Mordsgier
verdächtigt werden könnten. »Und wenn es eine Vergiftung war, ist es durchaus möglich, dass ihm irgendwer einen dummen Streich spielen wollte und nicht geahnt hat, wie gefährlich das Zeug ist, das er da benutzt hat. Ich meine, wir haben früher doch auch solche Sachen gemacht. Ich erinnere mich gut, wie ich einmal einem Lehrer, der seine Kaffeetasse immer mit auf den Schulhof nahm, ein Schlafmittel hineingeworfen habe. Ein paar Freunde sorgten für die nötige Ablenkung, und wir hatten zwei Stunden eher Schulschluss. Hm, eine Untersuchung hat es dann doch gegeben. Aber wir haben alle dicht gehalten, sodass die Lehrer nichts machen konnten.« Für einen Moment schwelgte sie in Erinnerungen. »Was, wenn die Schüler Ähnliches vorhatten?«
Helga schüttelte den Kopf. »Solche Streiche machen Kinder heute nicht mehr. Entweder sind sie aggressiv, sprühen die Wände voll, stehlen und randalieren, oder sie besitzen so wenig Fantasie, dass ihnen Streiche, wie wir sie früher gemacht haben, gar nicht einfallen. Keine Sorge, Franziska gerät schon nicht unter Verdacht.«
»Was meinst du, sollten wir nicht ein wenig mitmischen? Und wenn es nur vorbeugend ist. Wer weiß, auf welche komischen Ideen manche Polizisten kommen?«
Helga hatte auch schon darüber nachgedacht. Die Grundschule war zwar nicht direkt betroffen, aber diesem arroganten Schnösel von Oberstudiendirektor würde sie einen Täter an seiner Schule gönnen. Wie verächtlich der von ihrem sogenannten Schmalspurstudium gesprochen hatte und über die Grundschullehrer hergezogen war. Doch nein, sie hatte Klaus versprochen, sich nie wieder einzumischen. Damals, als er im Krankenhaus lag und die Polizei nicht eindeutig feststellen konnte, ob ein Mordversuch oder ein Unfall ihn dort hingebracht hatte, war ihre Angst um ihn ins Unermessliche gestiegen, und sie begann zu ahnen, welche Empfindungen Klaus quälten, wenn er wusste, dass sie einem Mörder nachjagte. Sie erkannte, dass seine harschen Worte nur seine Furcht verschleiern sollten, ihr könne etwas zustoßen. Und aus diesem Verständnis heraus hatte sie ihm versprochen, sich unter allen Umständen aus seinen Fällen herauszuhalten. Genau das, versuchte sie jetzt Ali zu erklären.
Die starrte sie sprachlos an. »Seitdem eure Beziehung gut läuft, bist du schrecklich langweilig geworden. Früher hast du doch auch nicht auf Klaus gehört. Nur weil man einen Mann liebt, muss man doch nicht gleich jedes eigenständige Denken und Handeln aufgeben!«
»Das hat doch damit nichts zu tun. Aber ein Versprechen ...«
»Quatsch! Er hat die Situation ausgenutzt. Du warst vor Kummer fast außer dir, da war es leicht, dich entsprechend zu beeinflussen. Und jetzt denk’ mal nach! Du befindest dich direkt am Ort des Geschehens und brauchst im Lehrerzimmer nur gut zuzuhören. Je nachdem was du erfährst, können wir immer noch entscheiden, ob wir etwas unternehmen wollen. Und Klaus kann nun wirklich nicht verlangen, dass du deinem Beruf mit Watte in den Ohren nachgehst.«
Alis Argumente erschienen logisch. Als Kollegin konnte sie schließlich nicht weghören, wenn sich jemand mit ihr über den Fall unterhalten wollte oder andere in ihrer Gegenwart darüber sprachen.
»Verdammt, ich brauche eine sinnvolle Aufgabe, die mich ausfüllt, nicht diesen Kleinkram, der mich doch nicht ablenkt. Ich meine, ich muss endlich mal an etwas anderes denken als an Scheidung, Unterhalt, Lebensstandard, verkorkste Gefühle, Verantwortung und solchen Kram. In mir ist nur noch Chaos, das ist wie ein Sog, der mich immer tiefer nach unten zieht. Ich muss da raus, auf andere Gedanken kommen, mich auf was Vernünftiges konzentrieren. Vielleicht kriege ich dann meinen Kopf wieder frei.«
»Du solltest dich um Veronika kümmern, die schriftliche Multiplikation wiederholen, die spurlos an dem Mädchen vorübergegangen ist. Das ist viel wichtiger. In der Schule schaffe ich das nicht. So angespannt und uninteressiert wie sie sich zurzeit verhält, komme ich an sie nicht heran.«
»In Ordnung. Wenn du mir verrätst, was im Lehrerzimmer so geredet wird, werde ich Veronika das Rechnen beibringen, einverstanden?«
Helga nickte, erst langsam und zweifelnd, dann mehr und mehr überzeugt. Endlich besaß Ali wieder eine ernsthafte Aufgabe, die sie auch intellektuell forderte, was hoffentlich die Spannungen in der Familie mildern und damit Veronika bessere Zensuren bescheren würde. Was tat sie nicht alles, damit es ihren Schülern gut ging, dachte sie
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