Renner & Kersting 03 - Mordsgier
Sie kannte die Frau, so wie man sich kennt, wenn man sich häufiger auf Veranstaltungen trifft. Autorenlesungen, Vernissagen und Theaterpremieren gehörten zu Danielas bevorzugtem Terrain. Ali, die eine Veranstaltung nur besuchte, wenn die sie wirklich interessierte, hatte das Gefühl, dass Daniela sich sehen lassen wollte, um Kontakte zur sogenannten feinen Gesellschaft zu knüpfen. Daniela gab sich exaltiert und interessiert, warf mit Begriffen um sich, die nicht immer das Ziel trafen, und vergaß nie, diverse Begegnungen mit angeblichen oder wirklichen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in epischer Breite zu schildern. Ali wollte kondolieren und ein wenig plaudern. Kritisch stand sie vor ihrem Kleiderschrank. Schwarze Hose und grauer Pullover mussten genügen. Dazu eine einfache Perlenkette. Noch mehr schwarz wäre unpassend und würde nur wieder Depressionen hervorrufen. Vielleicht sollte sie noch ein wenig über ihre Ehe nachdenken, dann wäre sie genau in der richtigen Stimmung für einen Trauerfall.
Aufmerksam betrachtete sie das schmucke Häuschen der Wohlfangs. Daniela öffnete, ganz in Schwarz, dezent geschminkt, die Haare frisch gekämmt. Etwas boshaft überlegte Ali, ob die Schatten unter den Augen auch der Schminke zu verdanken waren. Wenn das der Fall war, verstand Daniela einiges von der Kunst der Maske. So genau Ali auch schaute, sie konnte nicht erkennen, wo die natürliche Farbe aufhörte und die des Farbkastens begann.
»Oh, das ist aber nett, dass Sie extra vorbeikommen«, sagte Daniela und verbarg ihre Überraschung mit sichtbarer Mühe.
»Eine Karte ist so unpersönlich. Und manchmal braucht man doch jemand zum Reden. Wissen Sie, als mein Bruder starb«, glücklicherweise lebte der in Konstanz und würde von seinem vorzeitigen Ende niemals erfahren, »war mein Mann unterwegs, und ich hab’ mich furchtbar allein gefühlt. Deshalb dachte ich, ich schau einfach mal vorbei. Wenn Sie möchten, gehe ich wieder.«
»Aber nein, kommen Sie herein.«
Das Wohnzimmer war groß, hell und teuer eingerichtet. Ein Sofakissen verbarg nur unvollständig einen Liebesroman, auf dem Tisch stapelten sich Beileidskarten. Hastig räumte Daniela auf. »Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«
Nach höflichem Zögern bat Ali um Kaffee, »... aber nur wenn Sie mittrinken. So eine kleine Aufmunterung tut doch gut am Nachmittag.« Daniela verschwand in der Küche, und Ali blickte sich neugierig um. Vor längerer Zeit hatte sie sich mit dem Gedanken getragen, ihr Wohnzimmer neu einzurichten, daher kannte sie sich aus und wusste, dass es sich bei dem rötlichen Holz um Kirsche handelte, und die Stilmöbel von einer exquisiten italienischen Firma stammten. Den Schreibtisch mit der grünen Lederunterlage hätte sie auch gern gehabt, doch damals erschien ihr das gute Stück zu teuer, und so hatte sie schweren Herzens verzichtet. Zu jener Zeit hatte sie noch Rücksicht genommen auf Herberts Geldbeutel und Geschmack sowie ihre oft rücksichtslose Rasselbande.
Daniela hatte sowohl ihren bewundernden Blick als auch den leisen Seufzer mitbekommen und zeigte sich gleich viel zugänglicher. »Was nützt mir die schöne Umgebung, jetzt wo Rufus nicht mehr da ist. Wir haben die Möbel gemeinsam ausgesucht und es sehr genossen. Wissen Sie, Rufus verstand eine Menge davon. Er war so ein kluger Mann. Ich konnte ihn alles fragen, er wusste immer eine Antwort. Es wird schwer werden ohne ihn.«
»Meine Tochter mochte ihn sehr. Die Kinder wären gern zur Beerdigung gekommen.«
»Dieser unverschämte Polizist. Hat meinen armen Rufus beschlagnahmt, um ihn aufzuschneiden. Können Sie sich so etwas vorstellen? Wer sollte ihm denn etwas zuleide tun? Er war überall beliebt. Jeder hat ihn bewundert.«
»Einer anscheinend nicht.«
Ein tiefer, schon fast theatralischer Seufzer. »Tjaha, das stimmt wohl. Der Polizist war auch schon da und hat mir erzählt, dass jemand meinen armen Mann, also dass der ...« Wieder Schluchzen, dieses Mal mit Taschentuch. Sie atmete mehrmals tief durch, dann schien sie sich gefangen zu haben. Denn nun brach es fast hasserfüllt aus ihr heraus. »Wenn er tatsächlich umgebracht wurde, dann von diesem Miststück von Freundin. Ha, Freundin. Das hat sie vielleicht geglaubt, aber ich kenne meinen Rufus. Er liebte mich und nur mich. Er hätte sich niemals scheiden lassen. Sicher, ab und zu gab es mal ein kurzes Zwischenspiel mit anderen Frauen, Sie wissen schon, rein zweckmäßig für die Gesundheit, wenn
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