Renner & Kersting 03 - Mordsgier
sicher, von seiner Liebe umfangen. Während Ali ... für einen Moment tat ihr die Freundin leid. Dann dachte sie wieder an Veronika und bedauerte ihr weiches Herz. So viele Kinder litten unter den Streitigkeiten ihrer Eltern. Es gab keinen Grund, Veronika zu vernachlässigen, gleichgültig, wie es zwischen Ali und ihrem Mann aussah. Und wenn Ali glaubte, mit ihrem Nachbarn ins Bett steigen zu müssen, um gewisse Erfahrungen nachzuholen, dann durften die Folgen auf keinen Fall auf dem Rücken der Kinder ausgetragen werden. Plötzlich erschien die Freundin ihr fremd.
»Für dich ist immer alles einfach, schwarz oder weiß. Egal, was geschieht, zuerst hat eine Mutter sich um ihre Kinder zu kümmern«, fauchte Ali, als habe sie Helgas Gedanken gelesen. »Aber so ist das Leben nicht. Nur weil ich Kinder großziehe, heißt das nicht, dass ich mein eigenes Leben völlig hinten anstellen muss. Ich habe auch Gefühle und Wünsche. Du warst immer unabhängig, für dich ist es einfach zu sagen, kümmere dich mehr um deine Tochter. Aber den Zwiespalt in mir kennst du nicht, hast du nie kennen gelernt, weil du immer tun konntest, was du wolltest. Du hast keine Ahnung, wie die Zwänge von Ehe und Familie aussehen. Also hör gefälligst auf, mich so vorwurfsvoll anzustarren. Ich werde mich schon um die Kinder kümmern. Ich bin schließlich keine Rabenmutter und mit deinem – wie hast du gesagt? Asoziales Pack? – nun, damit habe ich auch nichts gemein. Meine Kinder brauchen deine Einmischung nicht!«
Sprachlos im wahrsten Sinne des Wortes starrte Helga Ali an. Sie balancierten auf schmalem Grad. Wenn Helga jetzt widersprach, auf ihrer Meinung beharrte, dann würde ihre Freundschaft zerbrechen, das spürte sie ganz genau. Ali befand sich in einer Stimmung, in der sie keinen Widerspruch duldete.
»Ali, du weißt, dass ich es nicht böse meine und auch längst nicht alles schwarz oder weiß sehe. Was ist denn los?« Ihre Stimme klang leise und war voller Verständnis.
Ali stockte, überlegte kurz und verzog ihr Gesicht. »Ich reagiere im Moment wohl etwas emotional. Tut mir leid, aber ich kann es nun mal nicht haben, wenn andere meinen, sich einmischen zu müssen.« Sie schwieg, schien mit sich zu kämpfen, ob sie mehr sagen sollte und fuhr dann doch fort. »Meine Schwiegermutter ist im Moment nicht zu ertragen. Natürlich gibt sie mir die Schuld an unserer Ehemisere. Ich weiß nicht, wie viel sie ahnt oder wie viel ihr Herbert erzählt hat. Wenn sie richtig fragt, ist er immer noch der kleine Junge, der seiner Mama nichts verheimlichen kann. Während ihres letzten Besuches musste ich mir so einiges anhören. Und ich schaffe es einfach nicht, ihr Kontra zu geben. Wenn die wüsste, dass ihr heißgeliebter Sohn eine außereheliche Affäre hat, würde ihre Welt zusammenbrechen. Sie gehört zu jenen, die jeden Sonntag in die Kirche laufen, und zwar aus Überzeugung, nicht um gesehen zu werden. Irgendwann werde ich sie damit konfrontieren, wenn sie mich weiter so reizt. Schwiegermütter gehörten verboten.«
»Wollten wir nicht Pizza essen gehen?«, fragte Helga ablenkend.
»Eigentlich schon.«
»Dann lass uns fahren.« Ein Blick zur Uhr. »Wir sind früh dran, mit etwas Glück ist es noch leer und der Mann hat Zeit zum Reden.«
»Was meinst du, soll ich mich gleich als Franziskas Mutter vorstellen?«
»Klar, du willst doch mit ihm über die Schule sprechen. Also spiel mit offenen Karten.«
Die Fahrt dauerte gerade mal zehn Minuten. Beide schwiegen. Zum ersten Mal erschien Helga die Stille weder freundschaftlich noch nachdenklich. Sie hatte einfach Angst, das Falsche zu sagen.
Sie waren die ersten Gäste. Es herrschte eine heimelige Atmosphäre. Blumenkübel trennten die Tische und schufen kleine Nischen. Sanftes Licht und leise Musik taten das ihre. Ein Kellner stürzte auf sie zu und nahm ihnen die Mäntel ab. Ali fragte nach dem Chef. Der kam schnell, etwas beunruhigt, da er offensichtlich eine Reklamation erwartete. Nachdem Ali sich als Franziskas Mutter vorgestellt und um ein kurzes Gespräch gebeten hatte, setzte Alfredo Pasquale sich zu ihnen. Ein Angestellter brachte ohne zu fragen eine Karaffe Rotwein und drei Gläser.
»Sehen Sie, Herr Pasquale, Sie wissen wahrscheinlich um die Probleme, die Ihre Tochter mit ihrem Sport-und Deutschlehrer hatte.« Bevor der eine Antwort geben konnte, sprach Ali schon weiter. »Meine Tochter ist auch involviert, und deshalb hielt ich eine Aussprache zwischen uns Erwachsenen für
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