Renner & Kersting 03 - Mordsgier
kam er auf keinen grünen Zweig. Mathe hatte er bei der Olp. Kennen Sie die? So eine kleine mickrige Frau, ohne Selbstbewusstsein, ohne eigene Meinung. Wenn der Wohlfang der Olp sagte, jemand sei ein schlechter Schüler, dann glaubte die das und behandelte ihn entsprechend.«
»Und bei Robert war das der Fall?«
»Na sicher. Und soll ich Ihnen noch etwas sagen? Wenn ein Lehrer ein bestimmtes Bild von einem Schüler hat und denjenigen lange genug unterrichtet, dann entwickelt der sich automatisch gemäß den Ansprüchen des Lehrers.«
Helga staunte über den psychologischen Scharfsinn der beiden. Darüber hatte sie noch nie nachgedacht, aber es klang logisch. »Ich verstehe, warum Robert dem Wohlfang die Schuld gab. Und Sie befürchten nun, dass er seine Drohung wahr gemacht und es Wohlfang heimgezahlt hat?« Einhelliges Nicken. »Nun gut, vielleicht kann ich etwas herausfinden, bevor die Polizei von der Sache Wind bekommt. Inzwischen kenne ich einen der Beamten ganz gut.« Wie gut, ging niemanden etwas an. »Ich werde mal vorsichtig anfragen, um welches Gift es sich handelt und ob sie einen Verdacht haben, einverstanden?«
»Das ist sehr nett von Ihnen. Verstehen Sie, wir wollen Robert nicht wirklich verdächtigen, aber wenn er getötet hat, sollte er dafür bestraft werden.« Damit drehten sie sich um und gingen.
Nachdenklich stieg Helga in ihr Auto. Falls Roberts Eltern einen großen Garten besaßen, hatten sie früher vielleicht auch E 605 benutzt und noch Reste irgendwo herumstehen. Dass die Wahrscheinlichkeit dieser Annahme gegen null tendierte – schließlich hatte längst nicht jeder Gärtner mit dem Gift gearbeitet und die meisten Anwender die Reste längst verbraucht oder entsorgt – dieser Gedanke kam ihr nicht. Vielmehr beschäftigte sie die Überlegung, ob sie Klaus von dem jungen Mann erzählen wollte. Angesichts seiner Forderung, sich unter allen Umständen aus der Sache herauszuhalten, freute sie der kleine Wissensvorsprung. Sie hasste Befehle jeglicher Art. Meist reagierte sie eher trotzig als vernünftig. Sie kannte ihre Schwäche nur zu gut. Ihr nachzugeben, erschien ihr derzeit jedoch viel interessanter als dagegen anzukämpfen.
Gleich nach dem Essen schaute sie ins Telefonbuch. Den Namen Banken gab es nur einmal. In Berchum. Sie kannte den Ortsteil flüchtig. Er bestand aus einem alten Dorfkern, vielen neuen Einfamilienhäusern und war von Wald, Wiesen und Feldern umgeben.
Sie fuhr über Halden und am Industriegebiet vorbei. Die angegebene Adresse hatte sie schnell gefunden. Ein schon älteres Einfamilienhaus mit Garten. Die Haustür befand sich auf der linken, die Garage auf der rechten Seite. Eine Reihe mannshoher Thuja trennte die Einfahrt, in der ein alter Kombi parkte, vom Vorgarten. Mehr konnte Helga im Vorbeifahren nicht sehen. Da die Straßen so eng waren, dass kaum zwei Autos aneinander vorbeikamen, parkte sie fünfzig Meter weiter und schlenderte langsam zurück. Kein Mensch weit und breit und die Garage offen. Gedeckt durch die Lebensbäume, schob sie sich an den Wagen in der Einfahrt heran und warf einen kurzen Blick ins Innere sowie einen langen in die Garage. Sofort fühlte Helga sich an ihr Elternhaus erinnert. Auch ihr Vater hatte in der Garage nicht bloß Putz-und Pflegemittel für das Auto gelagert, sondern auch Torf, Dünger und Pflanzenschutzmittel. Genau wie daheim standen Dosen, Glas-und Plastikflaschen auf einem Brett an der linken Wand. Lag es an ihrem Widerspruchsgeist oder war ihr der Erfolg des letzten Kriminalfalles zu Kopf gestiegen – sie zögerte nicht länger und huschte hinein. Jetzt erst bemerkte sie eine zweite, schmale Tür. Vorsichtig öffnete sie diese einen Spalt und stellte fest, dass sie einen Fluchtweg in den rückseitigen Garten bot. Ein wenig beruhigt wandte Helga sich dem Regal zu: Kunststoffreiniger, Glasreiniger, Entroster, Mennige, Pflanzendünger, ein Spray gegen Mehltau, eines gegen Blattläuse und einige Dosen Türschlossenteiser sowie Contactspray. Weitere Gifte konnte sie auf den ersten Blick nicht erkennen. Aber die Behälter standen in Doppelreihen, teilweise von alten Putzlappen verdeckt. Bevor sie das Zeug wegräumen und gründlich untersuchen konnte, hörte sie Stimmen, die sich schnell näherten. Ein Glück, dass es einen zweiten Ausgang gab. Sie rannte hinaus, bekam aber die Tür nicht wieder ins Schloss gedrückt. Das Holz hatte sich wohl verzogen. Sie lauschte. Der Lautstärke nach zu urteilen, mussten sich die Sprecher kurz
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