Renner & Kersting 03 - Mordsgier
Ausdrucksweise, »es war nicht ganz einfach, mit ihm auszukommen.«
»Rufus? Nun ja, er konnte sehr charmant und liebenswürdig sein. Wir hatten viel Spaß miteinander.« In Erinnerung an diverse Begebenheiten lächelte sie. »Wir haben wunderbare Feste gefeiert. Silvester zur Jahrtausendwende war so eine Gelegenheit. Rufus hatte uns eine Hütte besorgt. Urig eingerichtet und einsam gelegen. In Österreich, am Steinernen Meer. Ich habe selten so viel gelacht wie an jenem Abend. Wir hatten alle getrunken und waren albern, und Rufus erzählte einen Witz nach dem anderen. Damals war Julia zum ersten Mal dabei, später haben sie und Hubertus dann geheiratet. Hubertus Selbecke kennst du ja, alter Eilper Industrieadel. Aus der kleinen Klitsche seines Vaters hat er ein weltweites Unternehmen gemacht.«
»Wie war Rufus als Mensch?«, unterbrach Helga, bevor Anna abschweifen konnte.
»Er eiferte Hubertus in jeder Weise nach.«
»Verstehe ich nicht. Er war doch Lehrer. Wie sollte er einem Typen wie Selbecke nacheifern?«
Anna gab keine Antwort. Die Hände lagen gefaltet auf dem Schoß, der Blick ging an Helga vorbei. Offensichtlich überlegte sie, wie viel sie sagen durfte. Dann fuhr sie leise fort. »Hubertus konnte eiskalt sein. Absolut rücksichtslos. Er hat damals Männer entlassen, die schon dreißig Jahre für seinen Vater gearbeitet hatten, Müttern Überstunden aufgehalst bis sie nicht mehr konnten und von selbst kündigten, Firmen aufgekauft und ausgeschlachtet. Es war ihm gleichgültig, wenn Familienväter keine neue Arbeit fanden oder im Vertrauen auf ihren Arbeitsplatz Schulden gemacht hatten. Er hat sich nie um seine Arbeiter und Angestellten gekümmert. Vermutlich musste er so sein, um die Firma hochzubringen, aber trotzdem ... Er besaß kein soziales Gewissen. Ich weiß nicht, wie die anderen es empfanden, aber Dieter und ich waren oft entsetzt, wenn Hubertus erzählte. Er sprach nicht viel über seine Geschäftsführung, meist nur, wenn er getrunken hatte, aber dann zog er richtig vom Leder. Wenn es um Geld ging, kannte er keine Freunde mehr. Einmal hat Dieter ihn um ein Darlehen gebeten, als es uns dreckig ging und die Banken zu teuer waren. Glaubst du, er hätte einem alten Schulkameraden geholfen? Nichts da! Bei Geld hörte jede Freundschaft auf.«
»Ich verstehe nicht ...«
»... warum die Männer trotzdem Freunde blieben? Es waren wohl die gemeinsamen Erinnerungen und auch Gewohnheit. Wenn wir uns trafen, was nicht oft geschah, redeten sie hauptsächlich über die alten Zeiten. Da gab es wenige Möglichkeiten anzuecken. Alfons und Brigitte Rescheid sahen wir häufiger, ebenso die Filsers, die vier sind wirklich nett, Hubertus hatte eh selten Zeit und Wohlfangs, nun ja, Rufus war im Grunde genauso egoistisch, geld-und machtgierig wie Hubertus. Er hat Dieter damals aus der Bredouille geholfen. Und er hat es genossen! Uns immer wieder daran erinnert, was wir ihm zu verdanken haben.« Auf Helgas erstauntes Gesicht hin erklärte sie: »Rufus und seine Frau verfügen über eine Menge Geld, mit dem sie nichts anzufangen wissen. Er hat einiges geerbt und verdient gut, neben seinem Job hält er noch diverse Kurse und Vorträge. Daniela besaß früher ein Friseurgeschäft. Ihren Andeutungen zufolge hat es viel eingebracht. Als Rufus dann seine Stelle bekam, musste sie es aufgeben, denn als Studienrat wollte er nicht mit einer Friseuse verheiratet sein, selbst wenn die ihren eigenen Salon führte. Aber während seiner Ausbildung haben sie von ihrem Geld gelebt. Das wiederum hat Daniela ihn nie vergessen lassen. Die Ehe war am Ende, aber sie wollte sich nicht trennen.«
Helga spitzte die Ohren. Sollte der Verdacht der Zils berechtigt sein? »Ich wusste gar nicht, dass er so viel nebenbei gearbeitet hat?«
»Gearbeitet?« Anna lachte. »Für ihn war es keine Arbeit, eher Vergnügen. In der Schule durfte er die jungen Damen zwar anschauen, aber nicht anfassen. Da war er schön vorsichtig. Sein guter Ruf ging ihm über alles. Aber in seinen Kursen, da hat er den jungen Teilnehmerinnen Liebe vorgespielt. Ich weiß das, weil Daniela sich so manches Mal bei mir ausgeweint hat. Für ihn bedeutete die Ehe eine Art Sicherheitsleine. Spaß ohne Reue. Vergnügen ohne Verantwortung. Seine Geliebten wussten, dass er verheiratet war und konnten somit keine Ansprüche stellen. Falls sie es doch versuchten, ließ er sie fallen. Im Grunde ein richtiges Arschloch.«
Helga staunte. Anna benutzte solche Ausdrücke nur, wenn sie
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