Renner & Kersting 03 - Mordsgier
zurückgekehrt und blieb.
Käthe hatte indessen weiter gesprochen. »Da waren auch Bilder dabei. Die Frau sah wunderschön aus in dem langen Kleid und dem wertvollen Schmuck. Das war bei einer Theaterpremiere, glaube ich. Und dann stand da auch, dass er gute Verbindungen zu politischen Kreisen hätte. Aber wieso ist er dann mit einem einfachen Lehrer befreundet? Und zwar so sehr, dass sie gemeinsam in Urlaub fliegen, verstehen Sie das?«
»Hm, genau weiß ich es auch nicht.« Einen Moment überlegte Helga, was sie sagen sollte, doch dann gewann die Lust am Klatsch die Oberhand. Bei Käthe brauchte sie keine Angst zu haben, dass sie tratschen würde. »Also – so wie ich gehört habe, kannten die sich noch aus der Schulzeit. Selbecke hat den Betrieb von seinem Vater geerbt und daraus einen riesigen Konzern gemacht. Vielleicht hielt er den Kontakt zu seinen alten Klassenkameraden, um die Realität nicht aus den Augen zu verlieren, um nicht völlig abzuheben. Ich könnte mir vorstellen, wenn Geld irgendwann keine Rolle mehr spielt, weil man mehr davon hat, als man jemals ausgeben kann, dann verliert man auch den Bezug zu den normalen Menschen, die für ihr Geld hart arbeiten müssen. Vielleicht sonnte er sich auch nur in ihrer Bewunderung. Immerhin hatte er etwas erreicht, was die kühnsten Träume fast aller Menschen weit überschreitet. Ich weiß es nicht.« Sie zuckte die Schultern.
»Hm, da könnten Sie recht haben. Wer täglich nur mit den ganz Reichen umgeht, hat doch keine Ahnung, wie es ist, wenn man jeden Cent umdrehen muss. Wenn ich mir das richtig überlege, möchte ich so einen reichen Freund gar nicht haben. Da käme ich mir doch immer klein und unbedeutend vor. Dass die anderen das mitgemacht haben, das verstehe ich nicht. Der kann doch unmöglich so normal gewesen sein wie Sie oder ich. Allein seine späte Heirat mit so einem jungen Ding. Schön war sie ja, aber der Altersunterschied! Hm, vielleicht war der ja auch schwul, und keiner sollte es merken.«
Während Käthe weitere Vermutungen äußerte, überlegte Helga, wie viel sie eigentlich über Selbecke wusste. Er hatte nur selten in der Zeitung gestanden und nie Schlagzeilen gemacht. Seine Familie war seit hundert Jahren oder länger in Eilpe ansässig. Wer das alles jetzt wohl erbte? So alte Familien besaßen sicher Unmengen an Blutsverwandten, die sich auf die Millionen stürzen würden.
»Noch einen Kaffee oder sollen wir uns jetzt um das Schlafzimmer kümmern?«, fragte sie und unterbrach abrupt Käthes Wortschwall.
Als diese den Preis sah und die Kosten für das Wohnzimmer überschlug, gab sie die Idee mit dem allseitig verstellbaren Seniorenbett auf und kaufte stattdessen ein Einzelbett, breit und bequem, sowie einen dazu passenden Kleiderschrank in heller Eiche und einen Nachttisch. Alles sollte in drei Wochen geliefert werden.
Auf dem Rückweg machte Käthe den Eindruck, mit sich und der Welt zufrieden zu sein. »Wenn ich an die schönen Möbel denke, ich glaube, dann freue ich mich doch ein biss-schen auf die neue Wohnung – abgesehen davon, dass es bei Kerstings immer unerträglicher wird.«
»Soll ich Sie begleiten, wenn Sie ins Haus gehen? In meiner Gegenwart wird er kaum etwas Böses zu Ihnen sagen.«
»Haben Sie eine Ahnung, was der mir in letzter Zeit an den Kopf geworfen hat. Auch in Gegenwart Fremder. Meistens allerdings, wenn seine Kleine sich über mich beklagt hat. So nennt er nämlich seine Frau, seine Kleine. Bin doch neugierig, ob er den Namen beibehalten wird, wenn das Kind geboren ist.«
Helga kicherte. »Dann gibt es eine große und eine kleine Kleine, ist doch klar.«
»Wie kann ein alter Mann sich so dumm aufführen? Aber nein, machen Sie sich mal keine Sorgen. Falls er was sagen sollte, weiß ich die passende Antwort. Jetzt brauche ich ja keinerlei Rücksicht mehr zu nehmen.« Ihrem Ton nach zu urteilen, schien ihr das zu gefallen. Sie wechselte derzeit zwischen Hochs und Tiefs. Sie hatte Angst vor der Veränderung, wusste aber auch, dass kein Weg daran vorbeiging.
Kurz vor Hagen fiel Helga siedend heiß ein, dass sie vergessen hatte, Anna anzurufen. Dabei hatte sie es ihr versprochen. In der Schule war mal wieder der Teufel los gewesen. Die Kinder schienen völlig unfähig, einmal für fünf Minuten den Mund zu halten, und das möglichst gleichzeitig. Wie häufig in solchen Situationen überkam sie das Gefühl, als Lehrerin zu versagen. Dann hatte Raesfeld ein Fax geschickt, um sie daran zu erinnern, dass
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