Rentner-WG - ein Best-Ager-Roman aus Frankfurt
heute.
Als ehrgeiziger, junger Anwalt hatte Charly zügig Karriere gemacht. Mit seinem scharfen Verstand und absoluter Skrupellosigkeit ließ er seine Studienkollegen schnell hinter sich. Schon bald hatte er sich einen Namen als Firmenanwalt gemacht. Kalt und abgezockt, das war sein Image, das er genoss. Viele Jahre lang hatte er ein verdammt gutes Leben gehabt. Er stand ständig unter Strom, tagsüber im Büro und abends auf der Piste. Die Damen lagen ihm scharenweise zu Füßen. Aber er war nie so dumm gewesen, eine zu heiraten.
Vor gut einem Jahr war es dann passiert. Vermutlich war er ein paar Leuten zu oft auf die Füße getreten. Man hatte ihn ins offene Messer laufen lassen. Er beklagte sich nicht. Wer austeilt, muss auch einstecken können. Nun, er steckte seine Abfindung ein und ging. Plötzlich blieb so manche Tür, die man früher für ihn aufgerissen hatte, versperrt.
Er konnte sich kaum noch an seine letzte Freundin erinnern. Dumm war sie nicht. Sie hatte blitzschnell kapiert, dass die Zeit der Partys vorbei war. Während er seinen Schreibtisch in der Firma räumte, hatte sie in der Villa klar Schiff gemacht. Charly war nicht überrascht und nahm es ihr auch nicht sonderlich übel. Der Mensch ist ein Schwein, niemand wusste das besser als er.
Der Umzug in die kleine Wohnung war allerdings ein harter Schnitt gewesen. Aus dem Chaos sorgfältig beschrifteter Umzugskartons, die sich überall stapelten, stachen einige wenige, erlesene Möbelstücke heraus, Relikte aus einem anderen Leben.
In Charlys Wohnbüro waren die Bereiche klar unterteilt. Das Beste daran waren die kurzen Wege. Der größte Raum war sein Privatbereich, in dem er wohnte und schlief. Außer seinem Arbeitszimmer gab es noch ein winziges Vorzimmer. Dort hatte die Schreibkraft ihren Platz, die er bei Bedarf kommen ließ. Kaum jemand wusste, dass dies ein Anwaltsbüro war, denn natürlich empfing er hier niemals einen Klienten. Aus den Scherben seines alten Lebens hatte er ein paar Kontakte retten können, mit denen er sich über Wasser hielt. Wie viele Aufträge er nur der alten Zeiten wegen bekam, wollte er gar nicht so genau wissen. Das Geld floss nicht üppig, aber er kam zurecht.
Charly bügelte gerade auf dem Couchtisch die Hose seines besten Anzugs, als das Telefon klingelte. Automatisch zählte er mit. Nach dem vierten Klingeln schaltete sich der Anrufbeantworter ein. Es machte einen besseren Eindruck, wenn man beschäftigt aussah. So hatte er mit sonorer Stimme einen Text aufgesprochen, der Anrufer vertröstete, da er gerade in einem Geschäftstermin war.
„Köhler hier. Wo stecken Sie eigentlich dauernd? Ich habe einen Auftrag für Sie. Rufen Sie mich sofort zurück.“
Es klickte, der Anrufer hatte grußlos aufgelegt. Charly zog den Stecker des Bügeleisens aus der Steckdose und wischte vorsichtig mit einem feuchten Tuch über eine glänzende Stelle auf dem Stoff. Es passte gut, dass Köhler wieder etwas für ihn hatte. Das brachte Geld in die chronisch schwindsüchtige Kasse. Charly war fasziniert von dem Jungunternehmer. Dieser brennende Ehrgeiz, der kein Hindernis als unüberwindbar akzeptierte – das kannte er von seinen eigenen Anfängen. Allerdings hatte er damals auf kein elterliches Vermögen zurückgreifen können. Er war gespannt, ob Köhler den Sprung nach ganz oben schaffte. Charly wusste, wie dünn das Seil war, auf dem man dabei tanzen musste. Der Absturz nach unten konnte lang sein. Und der Aufschlag übel.
Wahrscheinlich hatte Köhler wieder einmal Ärger mit einem Mieter. Seine Aufträge waren nicht spektakulär, aber sie kamen mit einer gewissen Regelmäßigkeit. Charly konnte sich darauf verlassen, dass jeden Monat irgendetwas gerade gebogen werden musste. Manchmal auch in der Grauzone der Legalität, aber das machte ihm nichts aus.
Frühestens in zwei Stunden würde er zurückrufen. Es blieb also genügend Zeit für eine Übungseinheit auf der Driving Range. In seiner finanziellen Lage war es purer Luxus, die Mitgliedschaft im Golfclub aufrecht zu erhalten. Aber Golf war seine Passion, und er hing an diesem letzten Überbleibsel aus besseren Tagen. Als Nebeneffekt sprang manchmal sogar ein neuer Auftrag für ihn heraus. In gewissen Kreisen verband man gerne das Geschäftliche mit einer Runde Golf.
Irgendwie war es logisch, dass es heute regnete. Wäre ja auch zu viel verlangt gewesen, dass sie einmal Glück hatte. Leni stöhnte, als sie zwei Koffer in ihr Auto wuchtete. Ängstlich sah sie sich um.
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