Rentner-WG - ein Best-Ager-Roman aus Frankfurt
immer so voll gestopft, dass kaum zwei Leute aneinander vorbei gehen konnten. Er griff blindlings nach zwei Joghurtbechern. Dann studierte er das überschaubare Weinangebot. Vielleicht war das ein Aufhänger, um ins Gespräch zu kommen. Er wandte sich zur Kasse, wo eine ziemlich korpulente Dame in einem schmuddeligen Kittel gelangweilt aus dem Fenster starrte.
„Könnten Sie mir wohl helfen?“, fragte er höflich.
Die Frau schaute hoch.
„Hm“, brummte sie unwillig, erhob sich aber dann doch und watschelte zu ihm.
„Ich suche einen Rotwein zum Essen, nicht zu trocken, aber auch keinen lieblichen. Sie als Expertin können mir doch sicher etwas empfehlen.“
Unter seinem bewundernden Blick hellten sich ihre verkniffenen Gesichtszüge auf. Sie inspizierte die Flaschen und nahm dann eine heraus.
„Hier, nehmen Sie Chianti, der passt immer. Den trinken wir auch manchmal“, fügte sie hinzu, als wäre das eine besondere Empfehlung.
Charly schaute auf das Preisschild und musste an sich halten. Woanders hätte er diesen Fusel für weniger als die Hälfte bekommen. Aber das bekam Köhler auf die Spesenliste gesetzt, also konnte er großzügig sein.
„Das hört sich gut an. Davon nehme ich drei“, entschied er.
Die Frau watschelte zur Kasse zurück. Er war momentan der einzige Kunde. Die Gelegenheit war günstig für ein kleines Schwätzchen.
„Es ist schön, wenn einen jemand gut beraten kann. Das wird ja heutzutage immer seltener“, eröffnete er das Gespräch.
Die Frau tat die Schmeichelei mit einer Handbewegung ab, aber ihr Lächeln zeigte ihm, dass er den richtigen Ton getroffen hatte.
„Heutzutage hat keiner mehr Zeit, auch die Kunden nicht. Schnell rein, schnell raus, so ist das. Aber wir legen hier noch Wert auf anständige Bedienung. Wenn ich sehe, wie man in diesen Supermärkten abgefertigt wird...“
Sie schüttelte missbilligend den Kopf.
Charly gab ihr Recht. Gemeinsam schimpften sie auf Supermarktketten, die langen Ladenöffnungszeiten und auf die hohen Steuern gleich auch noch. Die Frau hatte sich in Rage geredet und wedelte sich mit einer Papiertüte Luft zu. Jetzt war ein günstiger Moment, um sie auszuhorchen.
„Was ich fragen wollte: Kennen Sie eigentlich den Herrn Winkler? Der muss doch hier ganz in der Nähe wohnen.“
„Winkler, Winkler“, überlegte sie.
„Vor kurzem ist seine Frau gestorben, vielleicht haben Sie davon gehört“, half Charly weiter.
„Jetzt weiß ich, wen Sie meinen. Was wollen Sie denn von dem?“
„Ich habe ihn vor einiger Zeit kennen gelernt. Wie geht es ihm denn? Ist ja nicht so einfach, so plötzlich allein zu sein.“
Charly baute einen besorgten Unterton ein.
„Um den brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Der hat sich schnell getröstet.“
„Ach!“
Mehr brauchte Charly nicht zu sagen. Die Frau war begierig darauf, weiter zu erzählen.
„Der hat sich schon wieder eine ins Haus geholt, also, eine neue Frau, meine ich. Es wird gemunkelt, dass die verheiratet ist und ihren Mann wegen dem Winkler verlassen hat. Der ist bestimmt keine schlechte Partie. Ich will ja nichts gesagt haben, aber wer weiß, wie lang das schon geht. Hoffentlich hat das seine Frau nicht mehr mitbekommen. Sie ist ja ganz plötzlich gestorben, die Ärmste. So viele Jahre hat sie es mit ihm ausgehalten, diesem Weiberheld.“
Beim besten Willen konnte sich Charly Herrn Winkler nicht als Weiberheld vorzustellen. Aber mit gespielter Entrüstung bohrte er weiter.
„Das kann ich mir aber gar nicht denken. Dieser nette, ruhige Herr.“
„Ja, ja, stille Wasser sind tief. Da kann man mal wieder sehen. Seine Neue kommt mir auch irgendwie bekannt vor, aber ich weiß nicht, wo ich sie hin tun soll.“
Charly hatte genug gehört. Der Tratsch blühte bereits. Es brauchte nicht viel, um das Ganze etwas anzuheizen. Vielleicht würde es für diesen Winkler und seine Neue schon bald sehr ungemütlich werden in dieser Nachbarschaft. Und ihren Namen würde er auch noch herausfinden, da hatte er keine Zweifel.
„Charly!“
Begeistert sprang Sandi auf und lief ihm entgegen. Sie hatte ein ausgesprochenes Faible für den gut aussehenden Anwalt. Er war zwar ein bisschen old-fashioned, aber seine charmante Art machte sie immer ganz kribbelig. Wenn schon nichts mit ihrem Chef lief, dieser Mann war auch nicht zu verachten.
Formvollendet begrüßte Charly die Sekretärin mit einem Handkuss und sah ihr tief in die kajalumrandeten Augen. Mit ein bisschen weniger Makeup und einem
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