Replay - Das zweite Spiel
Gefährte auf seiner Zeitreise, ein feudaler Kokon, gesponnen nach dem Muster seiner eigenen Epoche. So nostalgisch die Gefühle gewesen waren, die er dem alten Chevy entgegengebracht hatte - dieser Wagen löste ein noch stärkeres Heimweh aus.
»He, wo bleibt der Saft?«
»Kommt schon.«
Er reichte Frank das kalte Bier und nahm selbst einen großen Schluck aus der Flasche. Sie waren gleich nach Maddocks Examen aufgebrochen, Ende Mai. Jeff hatte längst aufgehört, Vorlesungen zu besuchen, und rasselte durch Prüfungen durch, ohne dass es ihm etwas ausmachte. Frank hatte die südliche Route nehmen und in New Orleans Zwischenstation machen wollen, um ein paar Tage zu feiern, Jeff aber hatte darauf bestanden, einen kürzeren Weg zu nehmen und über Birmingham, Memphis und Little Rock zu fahren. Außerhalb der Städte gab es alle paar hundert Meilen neu eröffnete Highway-Abschnitte mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 70 oder 75, und Jeff hatte die Gelegenheit genutzt, den Avanti auf dem glatten, breitspurigen Teerbelag bis nahe an seine Spitzengeschwindigkeit von 160 zu treiben.
Die Niedergeschlagenheit und Verwirrung, die er nach dem misslungenen Abend mit Judy Gordon verspürt hatte, hatte der Derbygewinn weitgehend zerstreut. Seit diesem Abend hatte er sie nicht mehr gesehen, außer im Vorbeigehen auf dem Campus. Und er hatte aufgehört, über mögliche Erklärungen für seine missliche Lage nachzugrübeln, abgesehen von. den Malen, wo er in der Dämmerung aufgewacht war und sein Verstand nach Antworten verlangt hatte, die es nicht gab› Wie auch immer die Wahrheit aussehen mochte - er hatte jetzt wenigstens den Beweis, dass seine Kenntnis der Zukunft mehr war als bloße Einbildung.
Bisher hatte Jeff es verstanden, Franks Fragen nach dem Grund für den spektakulären Gewinn auszuweichen. Maddock nahm wohl an, er sei ein Naturtalent im Betrügen, im Besitz eines Geheimrezepts. Jeffs Weigerung, auf dem Preakness-Rennen zwei Wochen nach dem Derby eine Folgewette abzuschließen, hatte ihn in diesem Glauben noch weiter bestärkt. Jeff war sicher, dass Chateaugay zwei von drei Rennen des diesjährigen Triple Crown gewinnen würde, konnte sich aber nicht mehr erinnern, welches der Folgederbys das Pferd verloren hatte; deshalb hatte er trotz Franks Protesten darauf bestanden, Preakness auszulassen.
Candy Spots hatte das Rennen dann mit dreieinhalb Längen Vorsprung gewonnen. Jetzt war sich Jeff nicht nur des Sieges beim kommenden Belmont-Stakes-Rennen sicher, sondern die Wiederauferstehung von Candy Spots hatte die Quoten für Chateaugay auch erneut nach oben getrieben.
Das Wetten hatte Jeff neue Entschlusskraft gegeben, ihn von dem Morast der Metaphysik und Philosophie abgelenkt, in dem die Antworten auf seine Lage begraben lagen. Wenn er nicht bereits wahnsinnig war, hätte ihn ein weiterer Monat der Grübelei mit Sicherheit an diesen Punkt gebracht. Das Glücksspiel dagegen war so klar Umrissen, so wohltuend unkompliziert: Sieg oder Niederlage, Verlust oder Gewinn, richtig oder falsch. Keine Mehrdeutigkeiten, keine Hintergedanken; besonders dann nicht, wenn man den Ausgang im Voraus kannte.
Frank hatte die verstreuten Karten aufgesammelt. Er stapelte und mischte sie. »Hey«, sagte er, »lass es uns mit einem doppelten Satz versuchen.«
»Klar, warum nicht?« Jeff setzte sich rittlings auf einen Stuhl neben dem Bett. Er nahm die Karten, mischte sie erneut und teilte sie aus.
»Plus eins, plus eins, null, plus eins, null, minus eins, minus zwei, minus zwei, minus drei, minus zwei…«
Jeff lauschte zufrieden der vertrauten Litanei, der fortlaufenden Zählung der Asse und Zehnen, die ausgegeben wurden. Frank hatte begeistert Diagramme und Tabellen aus einem neuen Buch mit dem Titel ›Schlagen Sie die Bank‹ auswendig gelernt, einer Computeranalyse der Setzstrategien beim Black Jack. Von seiner eigenen Lektüre her wusste Jeff, wie gut die Kartenzählmethode tatsächlich funktionierte. Mitte der 70er Jahre hatten die Casinos damit begonnen, jeden auszusperren, der diese Techniken benutzte. Zuvor jedoch hatten die Geber und Spielmacher alle Arten von Systemspielern willkommen geheißen, sie als leichte Beute betrachtet. Frank sollte nur mal machen, wenigstens eine Zeit lang im Mittelpunkt stehen - und wenn er vom Nervenkitzel seiner eigenen Triumphe an den Black-Jack-Tischen gefangen war, würde dies seine Aufmerksamkeit vielleicht von dem spektakuläreren Gewinn ablenken, den Jeff in Belmont zu erzielen
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