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Reptilia

Reptilia

Titel: Reptilia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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anbrachte und hörte nach einer Weile das Reißen eines Mulltuchs. Ein kurzer Druck, und Elieshi fixierte das Ende der Bandage mit einer Klammer. Dann legte sie den zweiten Verband an.
    Die Minuten verstrichen. Seltsam. Die Gewissheit, blind zu sein, war keineswegs so erschütternd, wie ich vermutet hatte. Genau genommen war ich selbst verwundert, mit welcher Ruhe ich die Hiobsbotschaft entgegengenommen hatte. Früher hatte ich mich öfter gefragt, ob ein Leben in völliger Dunkelheit überhaupt möglich war. Kein Licht mehr, keine Farben. Nie wieder den Anblick einer schönen Frau genießen, die Weite einer Landschaft oder den Sternenhimmel. Ich hatte mir das so vorgestellt, als wäre man lebendig begraben. Und jetzt? Ich fühlte den Wind auf meiner Haut, der als Vorbote des aufkommenden Unwetters winzige Regentropfen mit sich führte. Ich roch das modrige Wasser des Sees und hörte, wie die Wellen im aufkommenden Wind gegen das Ufer klatschten. Alles war ruhig und friedlich.
    Zu friedlich.
    »Was hast du mir gegeben?«
    »Morphium. Zehn Milliliter«, antwortete sie. »Deine Verletzungen sind sehr schwer. Es sind zwar nur oberflächliche Schnittwunden«, fuhr sie fort, »aber sie sind über das ganze Gesicht verteilt. Ich musste unendlich viel Plastik und Metall aus deiner Haut entfernen. Dabei hast du zwar viel Blut verloren, wirst es aber überleben.«
    »Hast du selbst nichts abbekommen?«
    »Ich stand direkt hinter dir und …«, sagte sie. » So, fertig, ich hoffe, der Verband sitzt nicht zu stramm, sonst muss ich ihn noch mal lösen.«
    »Danke. Geht schon.«
    »Willst du mal versuchen, aufzustehen?«
    Ich erhob mich mit ungelenken Bewegungen und spürte, wie der Schmerz selbst durch den dichten Schleier des Morphiums drang. Als ich schwankte, griff Elieshi mir unter die Arme und stützte mich. »Ich habe einen Plan, wie wir von hier verschwinden können«, sagte sie. »Unten am Wasser liegt immer noch das Schlauchboot. Der Tank im Außenbordmotor scheint gut gefüllt zu sein. Wenn wir uns beeilen, können wir verschwinden, ohne dass Maloney etwas davon merkt. Proviant und die wichtigsten Habseligkeiten sowie die Blutproben und das Tagebuch habe ich gepackt. Fehlst nur noch du.«
    »Wohin willst du uns denn bringen?«, fragte ich überrascht.
    »Wir werden genau den Weg nehmen, den Emily Palmbridges Videokamera damals genommen hat. Erinnerst du dich noch daran, als ich mich nach Maloneys Notfallplan erkundigt habe? Jetzt wäre der geeignete Zeitpunkt, ihn in die Tat umzusetzen.«
    »Eine andere Möglichkeit wird uns kaum bleiben. Also, worauf warten wir noch?«, entgegnete ich.
     
    *
     
    Fünf Minuten später hatten wir die Stelle erreicht, an der das Boot lag. Elieshi führte mich ins Wasser, bis ich an eine runde Wölbung stieß. Sie half mir ins Boot, ehe sie selbst von der anderen Seite einstieg. Es ist ein seltsames Gefühl, keinen festen Boden unter den Füßen zu haben, besonders wenn man nichts sehen kann. Ich spürte die Bewegungen des Bootes viel deutlicher als zuvor.
    »Bist du bereit?«, hörte ich Elieshi, und die Aufregung in ihrer Stimme war deutlich herauszuhören. In diesem Moment überfiel mich ein siedend heißer Gedanke. »Was ist eigentlich mit Egomo?«
    »Hat sich aus dem Staub gemacht«, sagte Elieshi, während sie an dem Starterkabel zog. In ihrer Stimme lag Verärgerung. »Er ist wie ein Hase davongelaufen, als der Schuss fiel. Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gesehen.« Wieder zog sie an dem Kabel, doch der Außenborder gab nur ein trockenes Husten von sich. »Was ist bloß mit der Scheißkiste los«, fluchte sie, als er nach einem dritten Versuch immer noch nicht ansprang. »Neulich lief er doch noch ganz einwandfrei.«
    »Probleme mit dem Motor?«
    Die Stimme war nah. Zu nah.
    Ich spürte, wie Elieshi herumwirbelte. Das Boot schwankte bedrohlich. Ich hörte sie fluchen. Erneut zog sie am Starterkabel. »Wären Sie so freundlich, mein Boot wieder zu verlassen? Es wird für Wichtigeres gebraucht.« Maloneys Stimme war kalt, ohne jede Emotion. »Bemühen Sie sich nicht. Es dürfte Ihnen sehr schwer fallen, den Motor zu starten, ohne Zündkerzen.«
    Die Biologin hörte sofort auf, am Kabel zu ziehen. »Sie verfluchter Schweinehund, geben Sie uns die Zündkerzen und lassen Sie uns gehen«, zischte sie.
    Ein schales Lachen drang an mein Ohr. »Sie haben hier gar nichts zu verlangen. Oder wollen Sie, dass ich Ihnen eine Kugel in den Kopf jage?« Ein Klicken ertönte. »Raus jetzt aus

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