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Reptilia

Reptilia

Titel: Reptilia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Seine Schritte wurden langsamer und langsamer. Schließlich blieb er stehen, keuchend, die Armbrust an die Brust gepresst. Welche Heilung hatten seine Freunde zu erwarten? Sein Bruder war in Not. Wehrlos dem Wahnsinn des Jägers ausgesetzt.
    Egomos Gedanken bewegten sich zeitgleich in verschiedene Richtungen. Durfte er einfach davonlaufen und sein Wohl über das der anderen setzen? War das in Ordnung? Hatte er nicht die Pflicht zu helfen, so, wie ihm damals geholfen wurde? Lag es jetzt nicht in seiner Verantwortung, denen, die in Not waren, Heilung zu bringen?
    Noch vor wenigen Tagen hatte er geglaubt, als Feigling in sein Dorf zurückkehren zu müssen. Doch er hatte sich überwunden und war geblieben. Und jetzt sah er sogar eine Möglichkeit, als Held zurückzukehren – oder zu sterben.
    Er zögerte einen Augenblick, dann wandte er sich um.
     
    *
     
    Ein Schluchzen drang an mein Ohr. Für einen Moment glaubte ich, meine eigene Stimme zu hören. Doch dann spürte ich sanfte Hände, die über meinen Kopf streichelten und hörte beruhigende Worte. Es war Elieshi, die da weinte.
    » Was ist geschehen?«, murmelte ich, während ich versuchte, mich aufzurichten. Ein unerträglicher Schmerz in meiner Brust ließ mich wieder zurücksinken. »Wo bin ich, warum ist es so dunkel?« Bildete ich mir das ein oder wurde das Schluchzen jetzt lauter? Und warum konnte ich nichts sehen? Die Welt um mich herum war dunkler als der schwärzeste Abgrund. Ich tastete nach meinem Gesicht und schrie auf. Die Haut fühlte sich an wie eine einzige offene Wunde. Schlimmer aber war die Erkenntnis, dass meine Augen zwar weit offen und weder von einem Tuch noch von einem Verband bedeckt waren, ich aber trotzdem nichts sehen konnte. Ein schrecklicher Verdacht bedrängte mich, und ich versuchte zu ertasten, was mit meinem Gesicht geschehen war. Da spürte ich Hände, die mich sanft zu Boden drückten.
    »Nicht«, flüsterte Elieshi. »Nicht berühren.«
    »Was ist mit meinem Gesicht?« Ich riss mich los. Zaghaft ertastete ich meine Wangen und schrie auf. Der Schmerz war höllisch. Die Haut fühlte sich an wie eine Kraterlandschaft. Panik stieg in mir auf. »Was ist mit mir«, flüsterte ich, »und wieso kann ich nichts sehen?«
    »Deine Augen sind …«, Elieshis Stimme versagte. Es dauerte eine Weile, ehe sie wieder sprach. » Es wird alles gut«, murmelte sie. »Aber du musst jetzt ganz still liegen bleiben, damit ich deine Wunden versorgen kann.«
    »Bin ich blind? Du musst es mir sagen. Was ist mit mir los?« Meine Stimme drohte zu versagen, und noch immer schwieg Elieshi. »Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist dieser blendende Blitz«, sagte ich. »Von da an weiß ich nichts mehr.«
    »Ich bin kein Arzt«, ließ sich die Biologin endlich vernehmen. »Alles, was ich sagen kann, ist, dass du schnellstens in ein Krankenhaus gehörst. Wenn überhaupt noch etwas zu retten ist, dann dort.«
    Ihre Worte trafen mich ins Mark. Sie sagte nichts anderes, als dass ich vielleicht nie wieder würde sehen können. »Mein Gott«, flüsterte ich. »Wie konnte das nur geschehen?«
    »Es war Maloney«, sagte die Biologin, und ihre Stimme zitterte vor unterdrückter Wut. »Er hat uns beobachtet, als wir versuchten, Marcellin zu erreichen. Er hat …«, wieder schwankte ihre Stimme, »… er hat geschossen. Der Satellitenreceiver explodierte, nur wenige Zentimeter von deinem Gesicht entfernt. Du bist ohnmächtig geworden. Seit Stunden versuche ich, dich wachzubekommen.« Ich hörte, wie sie sich die Nase putzte. »Du kannst von Glück sagen, dass du noch am Leben bist.«
    Meine Gedanken wirbelten wie Blätter im Herbstwind. »Warum hat er das nur getan? Was ist los mit ihm?«
    »Weiß nicht. Vielleicht fühlte er sich hintergangen, vielleicht ist er wirklich wahnsinnig geworden. Nachdem er geschossen hat, ist er im Wald verschwunden. Vor etwa einer Stunde habe ich einen weiteren Schuss gehört.«
    »Hat er sich selbst …?«, die Worte blieben mir im Hals stecken.
    »Um ganz ehrlich zu sein, ich habe schreckliche Angst, David. Ich will hier weg, so schnell wie möglich.«
    Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen. »Sag mir die Wahrheit. Was ist mit meinen Augen?«
    »…«
    »Du musst es mir sagen Elieshi, bitte!«
    »Es tut mir so leid.«
    Ich nickte.
    »Du solltest jetzt ganz still liegen bleiben, damit ich deinen Kopf bandagieren kann.« Sie hob meinen Kopf und wies mich an, ihn für einen Moment in dieser Position zu halten. Ich spürte, wie sie den Verband

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