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Reptilia

Reptilia

Titel: Reptilia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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quälender Langsamkeit. Endlich war es so weit. Meine Finger glitten über die Tastatur, als ich das Verzeichnis der gespeicherten Nummern aufrief, um den Anschluss für den Betreiber der Fluglinie herauszufinden. Fehlanzeige.
    »Hast du noch eine andere Nummer?«, fragte Elieshi. »Vielleicht die des Forschungsministeriums. Oder die von Staatssekretär Assis?«
    »Alles Fehlanzeige. In diesem verdammten Telefonbuch stehen nur Anschlüsse in den USA. Wahrscheinlich sind die anderen Nummern alle auf Maloneys Mobiltelefon gespeichert.«
    Sie nickte. »Sehr clever von ihm, uns keine Informationen in die Hand zu geben. Aber es gibt noch eine andere Möglichkeit. Ich werde mich mit Marcellin Agnagna in Verbindung setzen, einem alten Bekannten im Ministerium für Tier- und Landschaftsschutz. Er hat schon an vielen Expeditionen teilgenommen und ist der richtige Mann für uns.« Sie zog ein kleines, abgewetztes Lederbuch aus ihrer Hosentasche und blätterte darin. »Ah, hier ist sie«, grinste sie. »Ein Glück, dass ich mich nie von diesem Büchlein trenne. Also, ich diktiere …«
    Sie kam nicht mehr dazu, mir ihre Nummer zu sagen, denn in diesem Augenblick ertönte ein Knall, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Krachen und Splittern. Der Satellitenreceiver verschwand vor meinen Augen. Stattdessen war da nur noch ein leuchtender Blitz. Ich spürte, wie mich die Druckwelle einer Explosion traf und mir eine Wolke von scharfkantigen Metall- und Kunststoffsplittern ins Gesicht schleuderte, und kippte hintenüber. Der Schmerz war überwältigend. Wimmernd wand ich mich am Boden, versuchte davonzukriechen, irgendwohin, wo ich Schutz fand, doch es gelang mir nicht. Ich richtete mich auf und betastete mein Gesicht. Der Schmerz in meinen Augen verwandelte sich in ein gleißendes Feuerwerk aus roten und gelben Blitzen. Warme Flüssigkeit sickerte zwischen meinen Fingern hindurch und über meinen Mund. Das Letzte, woran ich mich erinnern konnte, war der Geschmack von Blut.
    Dann umfing mich Schwärze.

32
    Egomo rannte so schnell ihn seine Füße trugen. Er hatte keine Ahnung, wo er war oder in welche Richtung er lief. Er wollte nur weg von dem Wahnsinn, der sich der Welt bemächtigt halte.
    Irgendwann, wenn er weit genug weg war, würde er anhalten und versuchen, sich zu orientieren. Danach hoffte er. seinen Weg zurück zu den heimatlichen Hütten zu rinden. Seine Schulter schmerzte zwar, aber sie war trotz der Anstrengungen des gestrigen Tages so weit genesen, dass er den viertägigen Marsch bis zu seinem Dorf bewältigen könnte. Seine Gedanken wirbelten herum wie Blätter. Schmerz war der Vorbote der Heilung, das hatte Elieshi gesagt. Vielleicht hatte sie sich geirrt. Hier gab es keine Heilung, nur Schmerz. Als der Schuss gefallen war und er zusehen musste, wie das Gerät, mit dem sie Hilfe holen wollten, in tausend Teile zerbarst, als er gesehen hatte, wie David mit voller Wucht ins Gesicht getroffen wurde und blutüberströmt nach hinten kippte, die Hände vors Gesicht gepresst, da war ihm klar, dass der finstere Gott des Sees seine Hände im Spiel hatte. Er hatte seine Nähe gespürt, seit er zum ersten Mal einen Blick auf die spiegelnde Oberfläche geworfen hatte. Es waren nicht die Dinge im See, es war der See selbst. Sein schwarzer Atem. Ein Fluch, der sich auf alle legte, die zu lange an seinem Ufer verweilten. Bei Maloney war der Wahnsinn am deutlichsten zu spüren. Was war das für ein Mann gewesen, den er am Tag ihrer Ankunft kennen gelernt hatte? Ein großer Mann, aufmerksam, überlegen und freundlich. Und jetzt? Wo waren Großmut und Scharfsinn geblieben? Wo sein Verstand und die Fähigkeit, das Gute in seinen Mitmenschen zu erkennen? Doch davon war nur eine gebeugte Kreatur übrig geblieben, die von einem einzigen Gedanken beherrscht wurde: Rache! Der schwarze Atem hatte sich auf ihn gelegt, da war Egomo sich sicher. Als er an seine Freunde David und Elieshi denken musste, wurde er langsamer. Sie hatten sich ebenfalls gewandelt, auch wenn die Veränderung bei ihnen schleichender vor sich gegangen war. Ernst waren sie geworden und traurig. Kein Wunder, nach dem, was sie gemeinsam im Grasland erlebt hatten. Er dachte an die weiße Frau im Tempel. War es wirklich dieselbe Frau gewesen, die vor so vielen Monden durch sein Dorf gezogen war? David hatte sie offenbar gekannt. Ihr Tod hatte ihm sichtlich Schmerzen bereitet.
    Schmerz war der Vorbote der Heilung.
    Elieshis Worte gingen ihm zum wiederholten Male durch den Kopf.

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