Reptilia
Vielleicht waren einige von ihnen nur schwer verletzt …«, ich stockte. Der Gedanke, dass Emily jetzt irgendwo da draußen in der Nacht lag und auf Hilfe wartete, war kaum zu ertragen. Elieshi legte beruhigend ihre Hand auf meinen Arm.
» Vielleicht hat er sich geirrt«, murmelte ich. »Möglicherweise könnten wir noch jemanden retten, wenn wir jetzt aufbrächen.«
Sixpence schüttelte den Kopf. »Unmöglich. Wir müssen warten, bis es hell wird. Und außerdem: Sehen Sie sich unseren Führer an, der kann doch keine zwei Schritte mehr laufen. Nein, wenn wir etwas unternehmen, dann morgen früh.«
»Was ist mit dieser Warnung?«, fragte Maloney, der bisher ruhig und schweigsam dagestanden und zugehört hatte. »Was hat ihn angegriffen, und vor allem: Was hat seiner Meinung nach die Menschen getötet?«
Elieshi leitete die Frage an den dunkelhäutigen Jäger weiter. Die Antwort, die wir erhielten, brauchte nicht übersetzt zu werden. Es war ein einfacher, vertraut klingender Name, und wenn Elieshi noch Zweifel an unseren Absichten gehabt hatte, so waren diese Zweifel nun ausgeräumt. Ich sah, wie sie beim Klang dieses Namens in sich zusammensackte und uns mit einer Mischung aus Verwirrung und Trotz anstarrte.
*
An Schlaf war nicht mehr zu denken. Schweigsam und nachdenklich saßen wir zu viert am nächtlichen Lagerfeuer, ließen eine Flasche Wein kreisen und starrten in die Flammen. Egomo hatte sich nach dem Verzehr einer dritten Portion Eintopf im Vorratszelt hinter den Aluminiumkisten zum Schlafen auf den Boden gelegt. Ich bedauerte das, denn eigentlich hätte ich ihn gern noch gefragt, ob er Emily persönlich gekannt hatte. Aber seine Entscheidung war sicher vernünftig, besonders in Anbetracht seiner Verletzungen.
»Ich frage mich, woher er gekommen ist, was er erlebt hat«, sagte ich, denn ich fühlte, wie sehr mich das Schweigen belastete, »und natürlich, warum er uns warnen will.«
»Es ist in der Tat seltsam.« Elieshi füllte ihre Tasse mit heißem Wasser und rührte sich einige Löffel Instantkaffee hinein. Viel zu viel für meinen Geschmack, aber Elieshi war ja in mancherlei Hinsicht anders gestrickt.
»Es ist normalerweise nicht die Art der Pygmäen, sich in die Angelegenheiten von Fremden einzumischen«, erläuterte sie. »Sie leben in ihrer eigenen Welt, die sich mit unserer so gut wie gar nicht überschneidet. Ich hatte schon einige Male mit dem ›kleinen Volk‹, wie wir sie scherzhaft nennen, zu tun, aber es gibt einen bestimmten Punkt, ab dem man sich ihnen nicht weiter nähern kann. Auf geistiger Ebene, meine ich. Sobald du sie verlässt, existierst du nicht mehr für sie. Aus den Augen, aus dem Sinn. Von diesem Standpunkt aus gesehen ist es also mehr als verwunderlich, dass Egomo sich die Mühe macht, uns warnen zu wollen. Aber da ist noch etwas anderes.«
Ich ahnte, worauf sie hinauswollte: »Ist Ihnen auch aufgefallen, dass er mich immer so anstarrt? Haben Sie eine Erklärung dafür?«
»Nicht direkt«, sie schüttelte den Kopf. »Es ist nur so, dass er Sie dauernd als seinen Bruder bezeichnet.«
»Seinen Bruder?«
»So klang es jedenfalls.«
»Können Sie sich vorstellen, was er damit meint?«, fragte ich. »Das Wort ›Bruder‹ ist in der Sprache der Pygmäen nicht näher definiert. Die Art, wie er das Wort benutzt, legt aber nahe, dass er auf eine Art Seelenverwandtschaft zwischen Ihnen und ihm hinweisen will. Sie müssen verstehen, dass dieses Volk nur zum Teil in der Gegenwart lebt. Der andere Teil lebt im Reich der Geister, Götter und Ahnen, in einer Welt, die uns völlig fremd ist. Allesamt Dinge, die unser Vorstellungsvermögen sprengen. Für Egomo sind Sie sein Geistesbruder, ob es Ihnen nun gefällt oder nicht.«
»Ich könnte mir niemanden vorstellen, auf den diese Beschreibung weniger zuträfe als auf mich«, gab ich zu bedenken. »Aber wie dem auch sei, es macht wenig Sinn, sich jetzt darüber den Kopf zu zerbrechen. Erst einmal müssen wir mehr über das zerstörte Lager erfahren. Mich quält die Vorstellung, dass Emily irgendwo da draußen liegt und auf unsere Hilfe wartet.«
»Nehmen Sie es mir nicht übel«, sagte Stewart Maloney mit sanfter Stimme, »aber ich glaube nicht, dass diese Vorstellung realistisch ist. Ich weiß, dass Ihnen ihr Schicksal sehr am Herzen liegt, aber Sie müssen sich von dem Gedanken lösen, dass sie noch lebt.« Er legte seine Hand auf meine Schulter. »Nehmen wir mal an, Ihnen wäre vor Monaten dasselbe zugestoßen. Und
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