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Reptilia

Reptilia

Titel: Reptilia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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bringen. Schnell!«
    »Mal sehen, ob er uns an sich ranlässt«, sagte sie und begann in einer seltsam kehlig klingenden Sprache auf ihn einzureden. Die Worte schienen anzukommen. Der Mann fing an, auf seine Verletzungen zu deuten und nickte, als Elieshi ihn aufforderte, das Vorratszelt zu betreten. Ich eilte voraus und entzündete die Gaslaterne, die an der Dachverstrebung hing. Mittlerweile hatten auch Maloney und Sixpence mitbekommen, das etwas geschehen war, wie ich an dem Lichtkegel im Inneren ihrer Zelte unschwer erkennen konnte.
    Nur wenige Minuten später hatte sich das gesamte Team um den dunkelhäutigen Mann versammelt, der uns mit großen Augen anstarrte.
    »Was will er denn von uns?«, wandte ich mich an Elieshi.
    »So wie ich das verstanden habe, will er uns warnen«, erwiderte sie. »Ich habe aber keine Ahnung, wovor.« Die Biologin kniete vor ihm und begann damit, seine Wunden zu reinigen und zu desinfizieren. »Meine Sprachkenntnisse sind seit dem letzten Besuch bei den Pygmäen etwas eingerostet. Er spricht einen seltsamen Dialekt, aber ich habe herausbekommen, dass er Egomo heißt und vom Stamm der Bajaka ist. Sie halten sich etwa vier Tagesmärsche von hier auf.«
    Bewundernd beobachtete ich, mit welcher Gelassenheit der Pygmäe die schmerzhafte Prozedur über sieh ergehen ließ.
    »Wie hat er sich diese Verletzungen zugezogen?«, wollte ich wissen, während ich Elieshi dabei zusah, wie sie seinen Schulterbereich abtastete. Egomo zuckte schmerzhaft zusammen.
    »Sein Schlüsselbein ist gebrochen«, diagnostizierte sie. »Ich werde versuchen, den Arm ruhig zu stellen. Reichen Sie mir mal das Verbandstuch.« Ich griff in unseren Erste-Hilfe-Koffer und holte Pflaster, Mullbinden und ein Dreiecktuch heraus.
    Nachdem Elieshi alle seine Verletzungen versorgt und den Arm am Körper fixiert hatte, hielt sie ihm etwas von dem kalten Eintopf und ein Stück Brot hin. Der Pygmäe schnupperte zuerst misstrauisch, doch nachdem er davon gekostet hatte, schaufelte er den Inhalt der Schale gierig in sich hinein, wobei er den angebotenen Löffel ignorierte und nur seine Finger benutzte. Der bandagierte Arm schien ihn dabei nicht im Mindesten zu beeinträchtigen, zumal Elieshi ihm die Schale hielt. Es hatte den Anschein, als habe er schon seit Tagen nichts mehr gegessen. Als die Schale leer war, nickte er dankbar und ließ einen donnernden Rülpser hören. Elieshi füllte die Schale ein weiteres Mal und setzte dabei ihre Befragung fort. Diesmal aß Egomo mit sehr viel mehr Ruhe und nahm sich auch mehr Zeit für seine Antworten, wobei ich den Eindruck hatte, dass er mich die ganze Zeit beobachtete. Ich konnte förmlich spüren, wie seine großen braunen Augen auf mir ruhten.
    »Um es kurz zu machen«, erläuterte Elieshi nach einer Weile, »ich habe nicht alles verstanden, was er mir erzählt hat. Aber es war deutlich herauszuhören, dass er schreckliche Angst hat. Er berichtet von einer unheimlichen Begegnung im Grasland. Wahrscheinlich meint er die unbewaldete Zone im Süden. Was ihn dort so erschreckt hat, wollte er nicht sagen. Jedenfalls musste er fliehen, wobei er sich die Verletzungen zugezogen hat. Er sagte, dass er noch einmal zurückkehren will, weil er seine Waffe und seinen Proviant dort verloren hat, und wenn wir ihn begleiten, würde er uns das verwüstete Lager zeigen.«
    »Ein verwüstetes Lager?« Ich wurde neugierig. Das war der erste konkrete Hinweis, dass hier doch etwas nicht mit rechten Dingen zuging. »Wo liegt es genau? Vielleicht handelt es sich um Emilys Lager. Frag ihn, ob er dort vielleicht eine Frau mit blonden Haaren gesehen hat.« Als er den Namen Emily hörte, änderte sich Egomos Gesichtsausdruck. Er schien zu wissen, wovon ich sprach. Doch als er antwortete, spürte ich sogleich, dass etwas Schreckliches geschehen war.
    »Er sagt, eine blonde Frau habe er dort nicht gefunden«, übersetzte Elieshi. »Er sagt aber, es lägen viele Menschen dort. Alle tot. Dabei müssen Sie wissen, dass es in der Sprache der Pygmäen viele Begriffe für unser Wort ›tot‹ gibt. Bei ihnen ist der Tod eine Art Bewusstseinsveränderung. Selbst die Luft und die Erde, ja sogar die Steine haben ein eigenes Leben. Er benutzte aber einen Ausdruck, der nur in sehr seltenen Fällen zum Einsatz kommt. Er bedeutet, dass etwas wirklich tot und seine Seele für immer verloren ist.«
    »Ist er ganz sicher, dass Emily nicht dabei war? Hat er alle Körper genau untersucht? Ich dachte, er sei in Panik geflohen.

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