Reptilia
alten Zweifel übermannten. Es gab keine Wunder und nichts Unerklärliches. Alles, was uns mysteriös und geheimnisvoll erschien, war letztendlich doch nur von Menschen ersonnen, um andere zu manipulieren und für ihre Zwecke einzuspannen.
Ich lehnte mich zurück und beobachtete, wie sich der Lichtkegel einer Taschenlampe in Elieshis Zelt hin und her bewegte. Ich war froh, dass es Maloney gelungen war, sie zum Bleiben zu überreden. Ich wusste nicht, welche Verhandlungstaktik er dabei angewendet hatte, aber das war mir egal. Ich fühlte mich wohler, wenn sie dabei war. In ihr glaubte ich eine verwandte Seele zu erkennen. Sie war jemand, der es auch nicht gern hatte, wenn man ihn zum Narren hielt. Außerdem brachte sie frischen Wind in die ansonsten etwas steife Herrenrunde.
Ich blickte auf das Thermometer. Trotz des anhaltenden Regens war es um kein Grad kühler geworden. Immer noch lag eine Schwüle über dem Land, die das Hemd an meinem Körper kleben und mich glauben ließ, dass ich hier niemals entspannenden Schlaf finden würde. Der stetige Trommelwirbel machte es schwer, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Seit zwei Stunden war ich damit beschäftigt, meine Tagebuchnotizen zu aktualisieren und die Ausrüstungsgegenstände zu ordnen, die mir Lady Palmbridge mitgegeben hatte. Viel war es nicht, aber mehr war auch nicht notwendig. Ein gutes Mikroskop, antiseptisch verpackte Reagenzgläser und ein Koffer, dessen Inhalt zum Fortschrittlichsten gehörte, was die moderne Genforschung zu bieten hatte. So sehr ich auch darauf brannte, den Apparat in Aktion zu sehen, er würde warten müssen, bis wir einige Gewebeproben von Mokéle m’Bembé gesammelt hatten. Mein Blick fiel auf den Geigerzähler, den Elieshi mitgebracht hatte. Eine erste Messung im See hatte zwar ergeben, dass das Wasser erhöhte Strahlenwerte aufwies, doch das allein reichte nicht aus, um meine Hypothese zu bestätigen. Zu gegebener Zeit würde ich eine Tiefenmessung vornehmen müssen.
Feine Regentropfen durchdrangen den beschichteten Zeltstoff, fielen auf mich herab und vermischten sich mit dem Schweiß auf meiner Haut.
Ich wandte meinen Blick von den Geräten ab und betrachtete das umliegende Camp. Die Nacht war von einer solch undurchdringlichen Schwärze, dass es schien, als wäre sie etwas Stoffliches. Ab und zu zerriss ein Blitz die nächtliche Dunkelheit und ließ seinen Widerschein auf dem Wasser des Sees tanzen. Missmutig blickte ich zu Elieshis Zelt und hielt verwundert inne. Das Licht der Taschenlampe war ausgegangen. Doch die Biologin hatte sich nicht etwa schlafen gelegt, keineswegs. Stocksteif stand sie vor dem Eingang, ließ den Regen auf sich niederprasseln und starrte in die Finsternis. Ich folgte ihrem Blick, konnte aber nichts erkennen. Erst als ein weiterer Blitz die Dunkelheit erhellte, sah ich es auch. Wir waren nicht allein. In einem Sekundenbruchteil gleißender Helligkeit erkannte ich eine kleine menschliche Gestalt, die unbeweglich am Rande unseres Camps stand und uns beobachtete.
Ein Pygmäe, schoss es mir durch den Kopf.
»Elieshi?«, flüsterte ich, doch sie bedeutete mir, mich ruhig zu verhalten. Also blieb ich sitzen und beobachtete, wie sie langsam und mit vorsichtigen Schritten auf den Eindringling zuging. Der Ureinwohner machte keinerlei Anstalten zu fliehen. Auch wirkte er nicht, als suche er Streit. Er stand einfach da und blickte zu uns herüber. Ich deutete das als Zeichen, dass er mit uns Kontakt aufnehmen wollte. Elieshi hatte sich ihm bis auf drei Meter genähert und fing an, ihn mit Gesten aufzufordern, näher zu treten. Als ob er geradezu auf die Einladung gewartet hätte, löste sich der Mann aus der Dunkelheit und betrat unser Lager. Er war wesentlich kleiner, als der erste Eindruck vermuten ließ. Bekleidet mit einem roten Lendenschurz, maß er höchstens einen Meter fünfzig. Es fiel mir schwer, sein Alter zu schätzen, denn seine Physiognomie und seine Mimik waren gänzlich anders als die von uns Europäern. Trotzdem hatte ich den Eindruck, dass er noch relativ jung war. Vielleicht zwanzig oder fünfundzwanzig Jahre. Schrecklich mager sah er aus. Zudem schien er bei einem Kampf oder einem Unfall verletzt worden zu sein. Er humpelte, und sein rechter Arm hing schlaff an seinem Körper herab. Er bot ein Bild des Jammers. »Sehen Sie sich das an«, murmelte ich, als ich die Schwere seiner Verletzungen erkannte. »Der Mann muss sofort verarztet werden. Helfen Sie mir, ihn ins Versorgungszelt zu
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