Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)
junge Mann, der auf dem Grundstück in der Bockenheimer die Hecken schneiden und den Rasen mähen würde, wusste, wo sein Arbeit- oder Auftraggeber zu erreichen war.
Übermüdet steuerte er am nächsten Morgen sein Fahrzeug über die Friedensbrücke. Nach einer Krisensitzung vergangener Nacht im Büro „Nussknacker“ wegen Konrad Konrads Verschwinden sehr spät ins Bett gekommen, war er so aufgewühlt gewesen, dass er nicht hatte schlafen können.
Er passierte ohne Stocken den Hauptbahnhof, als Kellermann anrief.
„Wo bist du gerade?“
„In der Karlstraße. Auf dem Weg zur Bockenheimer Landstraße. Warum?“
„Ruf mich an, sobald du angekommen bist.“
„Okay.“
Was war nun schon wieder los? Er fühlte sich elend. So, wie an dem schrecklichen Tag vor mehr als einem halben Jahr, als er erschöpft frühmorgens von der Beschattung eines mutmaßlichen Vergewaltigers nach Hause gekommen war und in der Diele Anuschkas Mitteilung vorgefunden hatte:
Mir reicht´s. Ich gehe. Kerstin nehme ich mit. Heirate deinen Job und werde glücklich damit.
Das Tor zur Einfahrt war noch verschlossen. Er parkte auf dem Trottoir zwischen zwei Kastanienbäumen. Die beiden Eulen blickten kauzig auf ihn herab. Der Gärtner war noch nicht da, jedenfalls noch nicht tätig. Hans rief Kellermann an:
„Was liegt an?“
„Erinnerst du dich, dass Frau Schröder gestern Abend sagte, sie habe am Nachmittag auch Hauptkommissar Raabe bitten wollen, an der Krisensitzung teilzunehmen, doch ehe sie dazu gekommen sei, sei die Verbindung abgebrochen und seitdem habe sie ihn nicht mehr erreichen können?“
„Ja – und?“
„Raabe hatte einen Autounfall und liegt im Krankenhaus, schwer verletzt, und sein neuer Mitarbeiter, Kommissar Müller, ebenfalls. Ein Tankwagen ist von hinten auf das Polizeiauto aufgefahren und hat es gegen eine Mauer geschoben.“
Rehbein war wie vom Donner gerührt.
„Hallo, Hans, bist du noch dran?“
„In welchem Krankenhaus sind sie?“
„Unfallklinik, irgendwo in der Nähe der Friedberger Warte.“
„Ist er ansprechbar?“
„Raabe nicht, Müller ja. Reinfeld ist momentan dort. Hat wenig Sinn, wenn wir da alle aufkreuzen. Ich hab dich nur angerufen, um dir Bescheid zu sagen.“
„Ich weiß, danke. Treffen wir uns heute wieder?“
„Nach sechs im ‚Nussknacker‘. Tschau!“
Rehbeins Hände umkrallten das Steuer. Er biss die Zähne aufeinander, dass es knirschte. „Hat sich denn verdammt noch mal der Teufel gegen uns verschworen?!“ Der kleine, braune Bär in Jeans und Batschkapp unterm Innenspiegel wusste es nicht.
Er sah im Rückspiegel Katja Klein in elegantem Kostüm herbeieilen. Er rutschte im Sitz ein Stück nach unten, stellte sich schlafend. Es war ihm momentan unmöglich, mit jemandem zu plaudern. Raabes Unfall war ein zu großer Brocken. Zu seiner Erleichterung entdeckte sie ihn nicht. Ihre hochhackigen Pumps klapperten auf den Glasbau zu, in dem sie verschwand. Der Gärtner ließ weiterhin auf sich warten. Hans versuchte, sich zu beruhigen. Nach Konrad Konrads Entführung war nun die zweite große Lücke in der Aktionsgruppe entstanden und er fühlte sich an der vorderen Front nahezu allein einer feindlichen Übermacht gegenüber.
Gut, dass es wenigstens noch Reinhard Kellermann gab, den „Matula“ des Teams. Ein Zweitakter lärmte – eine Melodie, die ihn in die Zeit in seinem Häuschen mit Garten in Zeppelinheim versetzte … Anuschka und Amelie … Hans wischte sich über die Augen. Um Gottes willen, Schluss jetzt! Ein Luftzug trug den Duft geschnittenen Grases zu ihm herüber. Klar! Der Zweitakter! Wie war der Bursche auf das Grundstück gelangt? Hans hatte das Tor keine Sekunde aus den Augen gelassen. Er stieg aus und ging auf den Mann zu. Der gab in einer fremden Sprache Laute von sich, die sich anhörten wie Flüche. Der Motor war stehen geblieben und ließ sich nicht wieder starten.
„Guten Morgen, Herr …“, sagte Rehbein und sah den jungen Mann fragend an.
„Strowanewski“, antwortete der freundlich zischelnd, „Sie können sagen Jurek zu mir, ist mehr einfach.“ Ihm fehlten oben zwei Schneidezähne. Rehbein reichte ihm die Hand. „Hans. Mit dem Gerät da kenne ich mich aus. Darf ich?“
Jurek überließ ihm den Mäher und sah ihm zu. Rehbein klaubte die halb zerhackten Äste aus den Schneidezacken und riss den Motor in einem Zug wieder an.
„Sie sind nicht Gärtner von Beruf“, riet er.
„Nein. Schneider. Aber muss arbeit, was gibt.
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