Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)
Flügel über sein Ressort ausbreiten wie die Glucke über ihre Küken.“
„Der gehört überhaupt weg vom Fenster! Mit dem ist doch was oberfaul.“
„Da bin ich mir auch sicher. Nur nachweisen können wir ihm nichts.“
„Aber es existieren bestimmt Beweise. Die Nussknackers müssten sie ausgraben. Da fällt mir ein: Was will Konrad Konrad überhaupt in Moskau?“
„Tutzing aufstöbern, den Krollekopp, Geschäftsführer des Reisebüros Silverbird in der Hanauer Landstraße. Er hat vermutlich Kanzel entführt. Das ist der letzte gemeldete Vermisstenfall. Koko heftet sich an Tutzings Fersen und hofft, über ihn die Hintermänner aufzuspüren.“
„Und wir – was wollen wir jetzt eigentlich bei Leitmeier? – Entschuldige, aber ich habe noch nicht alles gerafft.“
„Brauchst dich doch nicht zu entschuldigen, du kommst schon noch in alles rein. Ich will wissen, ob dieser Arztstudent Max, dessentwegen Sehring und Höpfner in Streit geraten waren, wie uns die Hauswirtin berichtete, der Sohn von Dr. Leitmeier ist oder nur zufällig auch so heißt. Ich bringe den Arzt nicht mit der Frage in Verlegenheit, ob sein Sohn schwul ist, es genügt, wenn wir erfahren, ob Max als Student in Bremen gewohnt hat oder nicht.“
„Ich verstehe. Max zwischen Höpfner und Sehring. Der eine tot, der andere an unserer Angel!“
„Schöner wäre – in der Mangel!“
Müller lachte. „Das gilt es noch zu bewerkstelligen.“
Sie kamen unangemeldet, da eine Telefonverbindung zur Klinik nicht zustande gekommen war. Anstelle eines Rufsignals ertönte ein Pfeifen – mit der Anlage war offenbar etwas nicht in Ordnung.
Die alte Dame mit der jugendlichen Stimme öffnete das Tor. Die beiden großen Hunde wichen ihr nicht von der Seite. Sie führte die Beamten durch den Privatpark zur Klinik bis zur Rezeption. Hier waltete ein Paradiesvogel: hoch aufgetürmte Frisur, lange, auberginefarbene Fingernägel, gekleidet wie eine Animierdame im Moulin Rouge. Die Augen unter den unerhört langen Wimpern waren fest auf den Bildschirm gerichtet, die Besucher waren so gut wie Luft. Sie blickte von ihrer Arbeit nicht auf, als sie erklärte, der Chef sei heute nicht im Hause und auch telefonisch nicht erreichbar.
„Verraten Sie uns, wo wir ihn finden? Es ist sehr wichtig.“
„Das weiß ich nicht. Herr Dr. Leitmeier ist mir keine Rechenschaft schuldig, wenn er sich einen Tag frei nimmt“, antwortete sie pikiert.
„Das glauben wir Ihnen gern. Falls er sich meldet, sagen Sie ihm, er möchte sich sofort mit uns in Verbindung setzen. Es ginge um Max.“
„Um Max???“ Wie elektrisiert schoss sie von ihrem Drehstuhl in die Höhe und sah ihre Besucher zum ersten Mal an. „Ist er …“
„Darüber möchten wir mit Dr. Leitmeier persönlich sprechen. Schaun Sie nach, was mit Ihrer Telefonanlage nicht stimmt. Da ist irgendetwas verstellt, und wenn Ihr Chef anrufen will, kommt er nicht durch. Und wie kommen wir jetzt ohne größere Bissverletzungen wieder zur Straße?“
„Leo und Toni sind jetzt vorne im Haus. Frau Schnitzler lässt sie erst wieder frei, wenn Sie das Tor hinter sich zugezogen haben.“
Die Weißdornstraße war ziemlich abschüssig. Heraufzu hatte Raabe das nicht gestört, jetzt aber hielt er den Atem an. Unten angelangt, ging es nach einem kurzen, ebenen Weg gleich wieder aufwärts, dazu um die Kurve. Linker Hand kam hoch oben die Burg in Sicht und auf halber Höhe leuchtete zwischen dunklem Grün ein lang gestreckter, weißer Bau.
„Siehst du das große, weiße Haus an dem Hang drüben unterhalb der …“ „Achtung!!“, brüllte Müller ihm ins Wort, Raabe reagierte sofort, riss das Steuer noch gerade so rechtzeitig herum, dass er den Mauervorsprung nicht rammte. „Danke“, hauchte er nach einem tiefen Seufzer, wischte sich den Schweiß von der Stirn und schimpfte: „Diese verflucht engen und dazu noch steilen Gassen!“ Tatsache war, dass er es hasste, im Dienstwagen hinterm Steuer zu sitzen.
An der nächsten Kreuzung zeigte ein Wegweiser die Richtung nach Liederbach an. Müller grinste.
„Zwei, drei Wochen wirst du noch selbst fahren müssen … Aber was wolltest du mir von dem Bau unterhalb der Burg erzählen?“
„Dass das im Krieg ein Lazarett war. In dem ist mein Großvater 1943 an einer Verwundung gestorben. Meine Mutter ist mit uns Kindern etliche Male dorthin gefahren, um am Fuß dieses Berges für seine Seele zu beten. Mein Bruder und ich warteten dann immer voller Ungeduld, bis sie damit
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