Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)
Umschlag aus. Der steckte ihn kommentarlos ein und gähnte weiter.
„Das ist die zweite Nacht, die wir uns um die Ohren schlagen“, klärte Müller den Kollegen auf und setzte sich neben Raabe auf die Rückbank. Der war bereits wieder eingeschlafen.
Sehrings großer Hund verbellte die nächtliche Ruhe und vollführte beängstigend hohe Sprünge an der Innenseite des niedrigen Zaunes, schnickte dicke Speichelfäden aus den Lefzen umher. Die Beamten wussten nicht, ob man drinnen im Haus ihr Klingeln vernahm, hier draußen am Hoftor war es bei der Bellerei nicht zu hören. Der Hund unterbrach sie nur jeweils um eine Sekunde, um unter schauderhaftem Knurren die Zähne zu fletschen, wobei Raabe und Müller unwillkürlich zurückzuckten. Der Kollege hinterm Steuer hatte der Szene ein Weilchen belustigt zugeschaut, stieg aus dem Fahrzeug und kam hinzu. Er schwang den Schlagstock und brüllte den Hund an: „Sitz!“ Das half – doch nur für paar Schrecksekunden, dann fing das Theater von Neuem an.
Endlich ging drinnen im Haus das Licht an und gleich darauf die Laterne über dem Hoftor. Über Lautsprecher fragte eine helle Stimme: „Wer ist da?“ Müller beugte sich zu dem Gerät und sagte: „Kripo Frankfurt, rufen Sie den Hund zurück und öffnen Sie das Tor!“ Die helle Stimme antwortete: „Drücken Sie Ihren Ausweis flach gegen das Leuchtpaneel.“ Neben dem Lautsprecher leuchtete ein Viereck auf. Raabe tat, wie ihm geheißen. Die Haustür wurde geöffnet. Ein junger Mann trat hervor, pfiff den Hund zu sich und hielt ihn am Halsband fest. Gleich darauf summte das Tor und ließ sich öffnen.
„Kommen Sie mit ins Haus“, bat Raabe vorsichtshalber den Hauptwachtmeister, der seinen Schlagstock zurückgesteckt hatte und sich anschickte, zum Auto zurückzukehren.
Der junge Mann in Schlafrock und Pyjama hieß Andreas Koch. Er musterte die Beamten mit sichtlichem Unbehagen.
„Ja, Herr Sehring ist zu Hause. Er schläft oben. Wenn es dringend ist, kann ich ihn wecken.“
„Wir bitten darum. Es ist dringend.“
Zwischen Nacht und Morgen, eine Stunde später als gestern, da er die Schlafzimmertür hinter sich zugezogen hatte, weil er zum Tatort vor der Europabrücke gerufen worden war, öffnete er sie heute. Er schlich auf Zehenspitzen zum Bett, beugte sich hinab und hauchte einen Kuss auf Marions Locken. Sie fragte im Schlaf – stereotyp:
„Was ist, hast du den Mörder gefasst?“
„Ja, mein Schatz, und hinter Schloss und Riegel gebracht.“
Da saß sie senkrecht zwischen den Kissen, glockenhellwach und forderte: „Sag das noch mal!“
Marion ließ nicht locker. Horst musste ihr beim Frühstück die Festnahme Sehrings, die Vorgeschichte dazu, den gestrigen Tag und die abgerochene Nacht in allen Einzelheiten schildern.
„Aber jetzt muss ich los“, sagte er danach, „ich habe Müller versprochen, ihn zur Frühbesprechung abzuholen.“
Bei Müllers ging es in aller Hergottsfrühe munter zu. Die Rasselbande, bestehend aus zwei siebenjährigen Zwillingsbuben und einem Mädchen von fünf, umwuselte Papa in Schlafanzügen und protestierte, dass er jetzt schon wieder fort wollte, schließlich hatten sie ihn monatelang entbehren müssen. Mama Rosa fiel es schwer, nicht in den Chor miteinzustimmen, doch sie erklärte den Plagen, dass das heute noch nicht möglich sei. Obwohl sie es selber nicht einsah, wie ihre Blicke verrieten. Es klingelte dreimal an der Haustür. Papa drückte alle vier zusammen an sich, verteilte ein Dutzend Bussis in die jaunernde Runde und sagte aufgeräumt: „Ich ziehe nicht in den Krieg, ich geh nur zum Dienst.“
Die Frühbesprechung verlief diesmal unter dem Zeichen der jüngsten Erfolge ohne kontroverse Diskussionen, ebenso aber auch ohne die Andeutung einer Belobigung – doch das erwartete Raabe so wenig wie Müller.
„Immerhin hat Mandel unsere Vorschläge zum weiteren Vorgehen ohne Wenn und Aber akzeptiert“, sagte Raabe, „das will bei ihm viel heißen.“
„Ja. Das ist dann doch schon mal was.“ Müller zog ein Pillendöschen aus der Rocktasche. Er musste eine Schmerztablette schlucken. „Und dass wir uns offiziell mit den Entführungen befassen können, das ist außerdem noch was.“
Sie waren auf der Wiesbadener Autobahn unterwegs nach Königstein. Raabe nickte. „Das haben wir den beiden Mensingers zu verdanken. Der echte entführt, wie wir annehmen – der falsche ermordet, wie wir wissen. Kollege Hübner kann nicht weiterhin seine
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