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Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Titel: Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Reuther
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autogenem Training. Damit bekam er sein Nervensystem langsam in den Griff. Es gelang ihm sogar zu lesen. Er las in einem Buch über Voodoo in Haiti, bis er, zunächst flüchtig aus den Augenwinkeln, als er ansetzte, einen Schluck Wasser zu trinken, auf einer der Zeitungen eine rote Markierung gewahrte. Er legte das Buch zur Seite und nahm das Blatt zur Hand. Die zwei Striche in der oberen linken Ecke einer aufgeklappten Zeitungsseite waren mit einem Lippenstift gezogen worden. Die Markierung wies auf einen Bericht von ausgerechnet Markus Wehner hin, dem Journalisten, den er durch Koko kannte, und begann so: „ Sie nennen sich Kommunisten. Sie hassen Deutschland.“
    Neugierig geworden, setzte er sich damit in eine Couchecke und las weiter, Zeile um Zeile mit wachsender Verwunderung:
    „Georg Bush ist ihnen ein Mann des Friedens. Der Feind ist der Islam-Faschismus. Über alles andere aber geht die uneingeschränkte Solidarität mit Israel. Seit Jahren mischen die Anti-Deutschen die linksradikale Szene auf und haben Zulauf.
    Tausende junger Leute zählen sich zu der Bewegung. Tobias ist einer von ihnen. Er stammt aus Leipzig, wo es eine große linksradikale Szene gibt. Mit 17 schloss er sich einer Antifa-Gruppe an, damals verteidigte man ein alternatives Kulturzentrum mit Steinen gegen die Rechten. Dann wurde er Mitglied in einer ‚Antinationalen Gruppe‘, die sich später ‚Antideutsche kommunistische Gruppe‘ nannte.
    Einer, der seit Jahren die theoretische Kost für Tobias und seine Gesinnungsgenossen liefert, ist Justus Wertmüller. Der 43 Jahre alte Mann aus dem Berliner Bezirk Kreuzberg ist ein Veteran der antideutschen Denkschule, einer von acht Redakteuren der Zeitschrift ‚Bahamas‘, dem wichtigsten Impulsgeber der Szene. Die Wiedervereinigung, das Schockerlebnis der Linksradikalen, habe der ostdeutsche Pöbel verbrochen, erinnert sich Wertmüller – als er geschrien habe „Wir sind das Volk“, sei es ihm kalt den Rücken heruntergelaufen. ‚Deutschland von der Karte streichen, Polen muss bis Frankreich reichen‘ oder ‚Stalingrad war wunderbar, Nazi-Opa blieb gleich da‘ – solche Slogans bestimmen ihre Aufritte.
    Ist das alles nur versponnen? Der Einfluss der antideutschen Denkschule wächst jedenfalls, an Unis, bei linken Gruppen und bei der PDS/Linkspartei.“
     
    Ins Grübeln versunken, das in Meditieren hinüberglitt, schlief Edmund in der Couchecke ein, den rechten Arm auf das hoch gezogene Bein gestützt, der linke baumelte vom Polster herunter. Die Zeitung lag ausgebreitet so unglücklich auf seiner Brust, dass der obere Rand mit den zwei dicken roten Strichen seinen Mund bedeckte und beim Ein- und Ausatmen durch die Nase in dem Luftzug vibrierte.
    Edmund wachte auf, als ihn eine zarte Hand an der Schulter berührte.
    „Ihre Schleusenzeit ist zu Ende, folgen Sie mir ins Labor.“ Die helle Kinderstimme gehörte einer Asiatin mit hoch aufgetürmter, schwarzer Haarpracht. Edmund torkelte schlaftrunken hinter ihr her durch einen langen Gang. Sie betraten einen weiß gekachelten Raum.
    „Edmund Konrad nach abgeschlossener Schleusenzeit!“, rief die kleine Frau gellend in Richtung eines Paravents. Hinter dem trat ein Weißbekittelter hervor, rief zurück: „Danke, Iris.“ Die Asiatin verschwand, der Weißkittel schob ein Wägelchen mit Laborutensilien heran. Er wies auf einen Stuhl und sagte: „Guten Tag, mein Name ist Kürschner“, und entnahm Edmund etliche Kubikzentimeter Blut.
    „Nebenan steht ein kleiner Imbiss für Sie bereit. In einer halben Stunde holt Iris Sie zu EKG, Ultraschall- und Röntgenuntersuchungen ab und bringt Sie danach auf ihr Zimmer, wo Sie auf Kanal 17 Ihre Aufmerksamkeit einem Vortrag des Herrn Duda widmen sollen. Hinterher begleitet Iris Sie zum Gymnastiksaal und Ihr Alltag in Süd nimmt seinen Lauf .“
     
    Hier gab es keine Kemenaten, sondern richtige Zimmer und die hießen auch so. Größe und Einrichtung entsprachen der mittlerer Hotels. Edmund war nach der verbrachten Zeit in der Schleuse und den anschließenden Untersuchungen ziemlich schlapp. Er schaltete in seiner neuen Unterkunft Kanal 17 ein, streckte sich auf dem Bett aus, hörte sich aus der Horizontalen den Vortrag dieses Herrn Duda an. Aus dieser Perspektive bot dessen Adoniskonterfei auf dem Monitor einen leicht exzentrischen Anblick.
     
    Werter Spender, ich begrüße Sie in Repuestos -Süd, Ihrer zweiten Etappe, und erläutere Ihnen Sinn und Zweck unserer Organisation. Sie sind gewiss mit

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