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Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Titel: Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Reuther
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nichts geworden und das war schlimm. Sex konnte ekelhaft sein. Edmund hatte jetzt zwei Wünsche, die den Wunsch nach Freiheit noch übertrafen: dass keine Befruchtung erfolgt wäre und dass es ihm gelingen möge, diesen demütigenden Akt radikal aus seinem Gedächtnis zu streichen. Gerd ginge gewiss leichter darüber hinweg, überlegte Edmund. Er vermisste ihn. Ohne ihn erschien ihm sein echtes Dasein noch weiter entrückt – als habe er es in einem früheren Leben gelebt. Am einundneunzigsten Tag, dem letzten in Repuestos- West. Morgen oder übermorgen würde er Gerd treffen. War der Junge noch unversehrt? Vor der ersten Begegnung mit ihm fürchtete er sich und die Trennung von Koko stand bevor. Den fing er vorab schon an zu vermissen.
     
    Sie sahen sich an und schwiegen. Angela blieben noch fünf Monate in West und im Anschluss daran drei auf der Mütter-Säuglingsstation. Er sah das Flackern in ihren Augen, das Zittern um ihren Mund. Sie wollte sprechen und schwieg. Er kannte das. So war es ihm auch ergangen. Mit Gerd. Vor dessen „Umzug“.
    „Ist schon gut“, sagte er.
    Sie massierte sanft ihren Bauch, der sich unter dem weißen Leinenoverall deutlich wölbte.
    „Gustavs Zeit in der Apathie ist wohl abgelaufen. Wenn du ihn triffst, sag ihm, er soll mir verzeihen. Wir“ – und wieder strich sie über ihren Bauch – „kommen nicht nach.“
    Edmund nickte. Wusste, dass sie nicht umzustimmen war. Dennoch – versuchen wollte er es schon, obwohl er ihre Entscheidung nicht nur verstand, sondern für richtig hielt.
    „Was wäre, wenn zum Beispiel eine Stunde danach der ganz und gar unwahrscheinliche Fall unserer Befreiung einträte?“
    „Du spricht so leise. Ich habe dich nicht verstanden, was hast du gerade gesagt?“
    Er antwortete nicht. Der Kellner brachte die Espressos. Sie kippten den Zucker aus den Papierröhrchen in die kleinen Tassen, rührten ihn wortlos um und tranken in kleinen Schlucken. Es war Zeit zu gehen. Edmund hatte sich in seiner Kemenate einzufinden und am Monitor Instruktionen abzuwarten. Koko wartete dort auf ihn.
     
    Draußen nahm er Angelas Hände.
    „Wann?“
    „Nach der ersten Wehe.“
    Sie gingen in verschiedene Richtungen davon und sahen sich auch nicht mehr um.
    Edmund und Konrad berieten sich bis weit nach Mitternacht. Entwarfen Pläne und verwarfen sie, erkannten wiederholt ihre Ausweglosigkeit und wollten sie nicht hinnehmen. Sie trennten sich ohne Trost und Hoffnung.
     
     
     
     
    ***
     
     
     
     
    Sein Magen knurrte und er bekam nichts zu essen, er war müde und fand keinen Schlaf. Seit sieben Uhr früh saß Edmund in der „Hungerschleuse“ mit der Aussicht, auch den Rest des Tages und die folgende Nacht bei klarem Wasser und sonst nichts zu verbringen. Er sollte anschließend um einen Becher Blut erleichtert werden. Das war nicht etwa zum Spenden vorgesehen, sondern für vielfältige Experimente zur Kontrolle seines leiblichen Status quo. Im Anschluss daran sollten noch Untersuchungen auf Herz und Nieren und sonst was erfolgen. Das Ergebnis, so es zufriedenstellend ausfiel, besiegelte die Überstellung des Kandidaten nach Repuestos -Süd. Edmund befürchtete, dass der Aufnahme in die Hölle nicht das Geringste im Wege stand.
    Die Schleuse war ein geräumiger, gut beleuchteter Raum ohne Fenster mit schaumstoffgepolsterten Wänden, von allen Seiten videoüberwacht, mit Betriebsschützern in Alarmbereitschaft vor beiden Türen – Maßnahmen, erforderlich geworden durch Tobsuchtsanfälle von Spendern in der Vergangenheit und etlichen Suiziden. Ausstaffiert war der Schleusenraum mit einem Bett, einer gepolsterten Sitzlandschaft, einem Drehstuhl vor einem Lesepult, einem Trogtisch, dessen eine Hälfte mit Büchern, die andere mit Zeitschriften und Zeitungen bestückt war. Eine Toilette gab es nicht, im Bedarfsfalle öffnete ihm nach Betätigung eines Klingelknopfes ein Betriebsschützer die Tür zur Südseite und begleitete ihn über den Gang zu einem Waschraum. Zum Wachdienst auf beiden Seiten der Schleuse waren Chinesen eingesetzt, die weder Deutsch noch Englisch verstanden. Die Obrigkeit legte in diesem Segment der Kunststadt Wert darauf, Verständigung auszuschließen.
    Der Tag zog sich qualvoll dahin in ständigem Wechsel von Schlafen, Wachen, Wassertrinken – und dem Gang zum Klo, wozu er die Betriebsschützer alle drei bis vier Stunden behelligen musste. Zum Lesen war Edmund viel zu nervös. Weit nach Mitternacht, hellwach und zappelig, zwang er sich zu

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