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Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Titel: Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Reuther
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konnten. Drei Musterturner führten sie auf der Leinwand vor.
    „Tag, Herr Konrad“, flüsterte Gerd.
    „Edmund bitte, steck das Sie weg. Tag, Gerd.“
    „Sie sind – du bist also nun auch hier. Und wo wohnst du?“
    „Rosmarinpfad, Zimmer zweiunddreißig – und du?“
    „Zimmer zwölf in der Elstergasse.“
    „Ich habe Grüße für dich. Von Edith. Soll dir ausrichten, dass es geklappt hat.“
    „Konnte ihre Zeit also verlängern, freut mich für sie.“
    „Freut es dich auch für das Kind?“
    „Es wird das Licht der Welt … ich meine, das Licht von Repuestos nicht erblicken, sondern mit Edith zusammen das Leuchten der Glückseligkeit.“
    „Was sagst du da?“
    „Das ist eine längere Geschichte. Dazu fehlt mir jetzt die Puste.“
    Sie durften ihre Augen nicht von der Leinwand lassen, keine Übung verpassen.
     
    „Ich freue mich, dich heil anzutreffen.“
    „Reine Glückssache. Mei Abmessunge passten bis jetzt noch auf keinen Interessenten. Hat man bei dir schon Maß genommen?“
    „Bewahre, bin erst vor einer Stunde überführt worden. Kenne bis jetzt nur mein Zimmer und die Halle hier. Du bist also noch heil und dein Herz schlägt noch in deiner Brust, Ist alles andere auch noch komplett?“
    „Ja – bis auf eine Rückenmarkentnahme ist noch nichts passiert. Das ändert sich demnächst, ich muss die rechte Niere berappen, die Laboruntersuchungen dazu sind schon im Gange. Die führen hier vor jeder wie auch immer gearteten Transplantation eine Unmenge Tests durch. Mein Herz bleibt mir erhalten, es ist für die uninteressant, weil an einer Klappe eine Kleinigkeit auszusetzen ist. Das hatten die Wiesbadener übersehen. Leider.“
    „War die Rückenmarkentnahme schlimm?“
    „Nicht sehr … Schlimm sind die Gedanken im Kopf. Und die Angst vor jedem neuen Tag – davor, dass man zu einer Amputation abberufen wird. Dagegen hilft auch die Beruhigungssuppe nicht.“
    „Beruhigungssuppe?“
    Gerd nickte unter einer Rumpfbeuge. Edmund ging nicht weiter darauf ein.
    „Wie lange läuft die Gymnastik noch?“
    „Bis zwölf Uhr, dann geht’s bis um eins in den Fitnesssaal – der Tag läuft hier genauso ab wie in West, abgesehen von den Abrufen zwischendurch zum OP ... Es ist unbeschreiblich. Am schlimmsten ... ach, ich erzähl dir alles noch.“
     
    Hatte er sein Erschrecken über Gerds Äußeres verbergen können? Vor Jahren hatte Edmund die Dissertation eines seiner früheren Schüler Korrektur gelesen. Es war eine Abhandlung über starke seelische Traumata. Nach grausigen Erlebnissen konnten über Nacht physische Veränderungen entstehen. Gerds Greisenkopf schien ein Beispiel dafür zu sein. Hatte die plötzliche Begegnung mit den Verstümmelten Gerds Nervenkraft überfordert – oder gab es mehr, etwas, was Edmund nicht ahnen konnte? Ach, ich erzähl dir alles noch.
     
    Der „Palmenhof“ in Süd glich dem in West aufs Haar, sah man von den Farben ab, Weiß und Grün statt Weiß und Blau. Doch halt, da war doch ein Unterschied: Es fehlte die magnetverriegelte Tür zur Außenwelt. An ihrer Stelle befand sich eine Glasvitrine, bestückt mit grün-weißem Porzellan. Vom Südflügel führte also kein Schacht nach oben , dachte Edmund enttäuscht. Falls ich den Plan ausführen will, müsste ich zuvor einen Weg nach West erkunden. – Edmund und Gerd besetzten den letzten freien Tisch. Die Atmosphäre war niederdrückend. Schweigsam mümmelten die zu Schmach und stückweisem Sterben Verurteilten die Speisen in sich hinein. An einem der Tische allerdings ging es aggressiv zu.
    „Das dauert nicht mehr lange“, sagte Gerd, „bis sie aufeinander losgehen und abgeführt werden. Ein fundamentalistischer Moslem und ein orthodoxer Jude. Die beiden streiten, wo immer sie aufeinandertreffen, und sie treffen ständig in allen möglichen Ecken aufeinander, heut sogar beim Essen. Wieso setzen die sich überhaupt zusammen an einen Tisch?“
    Das fragte Edmund sich auch.
    „Was meinst du übrigens mit abgeführt? In die Apathie wie in West?“
    Gustav fiel ihm ein, seine Zeit im Wohnstuhl war ja abgelaufen und er musste in Kürze hier eintreffen.
    „Nein“, antwortete Gerd, „in die Konservierung.“
    „Was ist denn das?“
    „Der Sektor zur Aufbewahrung aller verwertbaren Teile und des Blutes von sezierten und konservierten Selbstmördern und – eben der Abgeführten. Ihr Ableben wird durch Entleeren ihrer Adern herbeigeführt.“
    „Gerd! Das ist nicht wahr!“
    Gerd holte tief Luft und blies sie

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