Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)
mir der Meinung, dass das Chaos auf unserem Globus ein Ende finden muss. Alle Versuche, die Welt in Ordnung zu bringen, selbst mit Gewalt, sind bisher gescheitert. Die Menschen der Erde haben ein natürliches Recht auf geordnete Lebensbedingungen. Dass diese durch Gewalt allein nicht erreichbar sind, hat die Vergangenheit gezeigt. Ich spreche nicht von dem fatalerweise gescheiterten Kommunismus, der zu Recht die Voraussetzungen für eine stabile Weltordnung für sich reklamiert. Was es dazu zu sagen gibt und auch über seine Verteufelung durch die Bourgeoisie, können Sie in der Bibliothek in Band 2 der philosophischen Schriften von Jonatan Haferbas nachlesen.
Vonnöten ist uneingeschränkte Autorität, gestützt auf Macht. Und die kann man kaufen. Die Familie Raskolnikoff, die reichste Russlands und bald der Welt, hat es sich unter Federführung des Pjotr Raskolnikoff zum Ziel gesetzt, eine heilsame und dauerhafte Weltordnung zu etablieren. Das gewaltige Unternehmen wird von ihm geleitet.
Doch selbst das große Vermögen der Raskolnikoffs bedarf der umsichtigen Vermehrung, um dieses Ziel zu erreichen. Diese Zugabe erwirtschaften die Repuestos- Zentren 1 - 6. Sie sind über den Erdball verteilt und mit unterschiedlichen Aufgaben betraut. Weitere außerordentlich hohe Erträge verdanken wir einer Reihe inzwischen in unserem Besitz befindlichen gesunden Wirtschaftssparten, moralisch unterstützt von der geistigen Elite Europas. Einen beachtlichen Teil in unserem Land leisten die roten Wellen, in Bewegung gesetzt durch fleißige rote Zellen, rekrutiert aus Idealisten der untergegangenen DDR.
Das Ziel einer neuen Weltordnung wird im Jahr 2018 erreicht sein. Bis dahin sind Administration und Nomenklatura gefestigt, das Verwaltungsnetz organisiert und nach dem Kalkül unserer Wirtschaftsexperten die innere Voraussetzung unter der Lenkung Intellektueller aus Politik, Philosophie und Literatur gegeben. Die große Wende auf der Erde geschieht ohne Krieg und Gewalt, leider nicht ohne Opfer. Sie und Ihre Mitspender tragen durch Ihre Spenden dazu bei, den Umschwung zu ermöglichen. Darauf können Sie stolz sein. Alle Ihre Namen werden in einer großen Laudatio, veröffentlicht im Goldenen Buch der Weltregierung, den nachfolgenden Generationen zur Hochachtung, Bewunderung und Dankbarkeit präsentiert. Das zu Ihrer Orientierung.
In einer halben Stunde werden Sie zum Gymnastiksaal geführt, mitten hinein in den Alltag von Repuestos- Süd. Ruhen Sie solange aus mit dem tröstlichen Gedanken, dass es sich bei Ihren Spenden um geheiligte Mittel zu gutem Zweck handelt. Die Dankbarkeit kommender Generationen der künftigen Weltrepublik ist Ihnen gewiss.
M. Duda
„Vergelte es dir Gott mit allen Schrecken“, sagte Edmund laut, Zornesröte auf der Stirn, „mir ist nicht danach, ihn zu bitten, er möge dir den Zynismus vergeben.“
Der Gymnastiksaal war groß und hell. Die Spender bewegten sich in weißen Overalls mit grünen Litzen im Kreis, vielmehr in drei Kreisen, einem großen mit intakten Körpern, einem mittleren mit einarmigen Spendern und einem kleinen mit solchen, denen ein Bein fehlte. Sie sangen „Auf einem Baum ein Kuckuck saß“, begleitet von Klaviermusik. Großer und mittlerer Kreis bewegten sich pro Strophe mit elf Laufschritten, der kleine mit fünfmaligem Aufsetzen der rechten oder linken Füße zwischen dem Aufstützen auf die Krücken.
Edmund rang nach Luft. Er fürchtete die Begegnung mit Gerd. Welchem Kreis gehörte er an? Seine Augen suchten nach ihm. „Lassen Sie sich Zeit“, sagte die Asiatin, „aber nicht zu lange, spätestens zur vierten Strophe müssen Sie sich dem äußeren Kreis eingegliedert haben. Mitsingen müssen Sie aber erst ab morgen, falls Sie das Lied nicht kennen. Sie finden auf Kanal eins jeweils ab Mittag den Liedtext zum folgenden Tag vor. Er ist auswendig zu lernen.“
Er entdeckte Gerd nicht. Auch Hannelore Voß nicht. Vielleicht lag sie ja noch in der Apathie . Aber Gustav, Gustav und Gerd müssten doch hier sein!
„Und als ein Jahr vergahangen …“ Als die vierte Strophe begann, entdeckte er Gerd. Er erkannte ihn an den Augen, die sich auf ihn richteten, aus einem um Jahrzehnte gealterten Gesicht. Sein rotblonder Haarschopf war jetzt schlohweiß.
Aber er befand sich im großen Kreis! „Simsalabimbambasaladusaladim…“
Die Asiatin ging. Er reihte sich hinter Gerd ein.
Nach der letzten Strophe folgten Bodenübungen, die alle drei Gruppen gemeinsam ausführen
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