Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)
ringsum ein einziges Geräuschen, am Ohr vorbei, bis Nicole ihn in die Rippen boxte. „Hej!“
Was hatte es zu bedeuten, dass Gerd nicht zum Frühstück gekommen war?! Edmund wurde diese Frage nicht los und hatte Mühe, den Kommandos auf der Liegewiese zu folgen. Er machte sich zum Vorwurf, dass er in West seinen Plan mit der fifty-fifty-Chance verschoben hatte. Vielleicht wäre es gut gegangen und dieser Alb längst Vergangenheit! Im Falle des Versagens hätte ihm „lediglich“ die Apathie gedroht, in die er alsbald ohnehin gelangt war.
In der Turnhalle wurden sie in drei Gruppen eingeteilt, wie er sie gestern schon angetroffen hatte. Das Lied für heute war Das Wandern ist des Müllers Lust – unüberbietbarer Hohn.
Im Fitnesssaal trat Edmund zehn Minuten lang wütend in die Pedale des immobilen Rades, schwang einige Schlenker an den Ringen und setzte sich zuletzt in ein Boot. Er ruderte wie um die Wette. Nach mehr als einem Dutzend Ruderschlägen drang vom Nachbarboot eine vertraute Stimme zu ihm herüber.
„Hallo, Edmund, bin dem Teufel von der Schippe gehippt!“ Edmund hielt im Rudern inne, sah zur Seite in Gerds glückliches Gesicht, Freudentränen schossen aus seinen Augen. Edmund ruderte weiter und stieß ein Dankgebet zum Himmel. „Mein Gott, gibt es dich doch?“ Er ruderte mit voller Kraft weiter, noch heftiger, und konnte die Frage nur herauskeuchen: „Wie ist das zugegangen?“
„Mir geht gleich die Puste aus, ich erzähl‘s dir nachher im ‚Tulpenkorb‘.“
***
Teil 5
Hauptkommissar Raabe war damit zufrieden, wie die Dinge sich entwickelten. Erstaunlicherweise hatten die Behörden in Dakar schnelle und reibungslose Amtshilfe geleistet. Kupsch saß jetzt mit Handschellen zwischen zwei Kollegen im Flugzeug nach Frankfurt. In der gleichen Maschine eine überglückliche Lolita zwischen Reinfeld und Kellermann. Die beiden Detektive hatten es sich nicht nehmen lassen, zusammen mit der Polizei am Kai von Dakar die Ankunft des Segelbootes zu erwarten und die junge Frau in Empfang zu nehmen, während Handschellen um Kupschs Handgelenke einklickten. Raabe setzte große Hoffnung in den weiteren Verlauf. Ebenso in Rehbeins Mission. Anders als Reinfeld versprach er sich Resultate von seiner vorgesehenen Reise nach Polen. Es war durchaus nicht ausgeschlossen, dass diese Laborantin Theresa Schwarz bei ihrer Großmutter, bei der sie aufgewachsen war, Unterschlupf gesucht und gefunden hatte. Wenn nicht, bestand immer noch die Chance, dass Rehbein dort etwas über den Aufenthaltsort der Dame in Erfahrung bringen konnte.
Im Vermisstendezernat wehte inzwischen ein anderer Wind. Kollege Müller blieb hartnäckig am Ball, hinter Emil Tutzing her, dem Koko auf der Spur war und dabei ebenfalls im Heer der Vermissten versank. Am Ende gar war das die Richtung, die zu den Vermissten führte.
Polizeihauptkommissar Raabe konnte sich nach den hektischen Tagen und mit Knöpfle im Büro entspannen und sich ein paar Stunden für Marion und ihre Kunst gönnen. Eine Ausstellung ihrer Bilder in der Rumkorff KG. stand bevor. Der Ausstellungsraum stand ihr bereits heute zur Verfügung und die Anordnung der Bilder wollte gut überlegt sein. Professor Ulrichstein, dessen Name auf der Berufungsliste des Städel stand, hatte sie auf ihre Einladung hin mit seiner Zusage beglückt.
Sie lehnte ihr jüngstes Bild an die Wand, betrachtete es lange und ging nachdenklich im Raum auf und ab. Sollte sie es zeigen oder nicht? Es war die Elite-Karikatur in Acryl, seit wenigen Tagen vollendet. Der Fahrer des Mietwagens beobachtet sie vom Flur her und wusste nicht, was er nun tun sollte: die vier Bilder zu den anderen hinuntertragen, die er bereits in den Kleinbus geladen hatte, oder warten, bis sich Frau Raabe an ihrem letzten Bild sattgesehen hatte. Sein Bus stand unten im Halteverbot, er wurde kribbelig und mahnte im Stillen: Wird’s bald? Als habe sie seine Gedanken erraten, sagte sie:
„Bringen Sie die vier Bilder ruhig runter. Ich bin noch am Überlegen, ob das hier mitkommt oder nicht.“
„Okay, ich warte unten. Falls sich eine Politesse nähert, drehe ich eine Runde oder zwei, wenn es sein muss.“
Marion nickte und vertiefte sich wieder in die Gruppe aus Acryl. Keine Frage, die Gesichter waren unverkennbar, jeder der Dargestellten würde sich ohne Weiteres sofort erkennen. Mindestens zwei von ihnen erwartete sie zur Vernissage. Sie beschloss: Nein, heute nicht. Ihr stand nicht der Sinn nach
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