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Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Titel: Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Reuther
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für ihn, dennoch versetzte ihm die mutwillige Verstümmelung der lebhaften jungen Frau einen Stich. Die Kellnerin kam, sie bestellten Kaffee und Erdbeertorte.
    „Weißt du, eigentlich hat sie ja so recht, obwohl …“, es zuckte um den kleinen Mund, „ich meine, der richtige, ein guter Kommunismus wäre doch ein Segen für die Menschen. Andererseits – ich wollte das nie wahr haben, obwohl ich … Meine Oma schrieb in ihr Tagebuch …“
    Sie verstummte. Edmund drang nicht weiter in sie ein. Obwohl, obwohl – was stand in dem Tagebuch?
    „Und mit dem Unrecht der Sieger an uns …“
    Edmund schreckte aus seinen Gedanken hoch.
    „… hat sie doch auch recht. Sie ist Französin und spricht dennoch vom Unrecht der Franzosen an uns.“
    Wie geduldig doch Tagebücher sind, dachte Edmund. Das unendliche Leid, das dort niedergeschrieben und bewahrt wird, gilt in diesem Land noch immer als undruckbar und unaussprechbar… festgehalten in dem Zeitungsfetzen, der als Lesezeichen diente in einem Büchlein von Stefan Zweig, das er am Ende seiner letzten Unterrichtsstunde in der Schublade des Lehrerpults vorgefunden hatte.
     
    Später besuchte Gerd ihn in seiner Bude und sie gingen gemeinsam die Hausordnung für Repuestos -Süd durch. Die Strafen waren ausgemachte Gräuel. Ermahnungen oder Vorwarnungen gab es nicht. Es überzog ihn eine Gänsehaut. Zuletzt wurde ihm schwarz vor Augen und sein Gesicht weiß wie die Wand. Gerd wollte ihn so nicht zurücklassen. Er leistete seinem einstigen Lehrer noch eine Weile Gesellschaft und versuchte – glücklos –, mit Geplauder über dies und das den Horror zu überspielen. Oben hatte er ihn nicht besonders gemocht. Keinen der Pauker hatte er je besonders gemocht. Die ganze Penne nicht. Penne. Aus heutiger Sicht ein Paradies.
    „Da fällt mir ein, ich habe noch eine Frage bei dir gut.“
    „Stimmt. Schieß los.“
    „Wieso hast du damals in West dazu genickt, als das Schwäble behauptete – eine erstaunliche Aussage übrigens für eine Erzkommunistin –, wir wären nicht schuld gewesen an dem Scheißkrieg. Mit wir meinte sie doch Deutschland.“
    „Ich nick dazu noch immer.“
    „Wie kannst du Altachtundsechziger …“
    „Einstiger Altachtundsechziger …“
    „Wie bitte? – „Auf welcher Seite stehst du?“
    „Hüben. Drüben war früher.“
    „Wie das?“
    „Das lässt sich nicht in einem Satz sagen.“
    „Wir haben Zeit.“
    Dem Argument war schwerlich zu widersprechen. Es gab auch nicht wirklich einen Grund dafür.
    „Es stimmt, ich war Achtundsechziger. Stolz bin ich darauf nicht. Damals kam ich mir prächtig vor. Ich war so alt wie du jetzt. Unsere Politisierung – das ahnte ich nicht – war auf Lebenslügen aufgebaut. Meine Zugehörigkeit zur links radikalisierten akademischen Jugend war das schwärzeste Kapitel in meinem Leben.“
    „Bist du irre?“
    „War es. Seinerzeit. Ich will nicht mit der Leier kommen, dass wir uns als dumme Buben mit dummen linken Sprüchen einfach hineinreißen ließen, auch wenn es teilweise stimmt. Fakt ist, ich war ein junger Hitzkopf und blindwütig auf unsere Elterngeneration, die, wie ich glaubte, die Welt in diesen fürchterlichen Krieg gestürzt hatte, in dessen schmachvolle Nachkriegszeit wir hineingeboren wurden, und dass alle Welt mit Fingern auf uns zeigte. Ich habe mitgebrüllt, bin mitmarschiert, habe Steine geworfen und Häuser besetzt, Mao verehrt, Marx für den Größten gehalten. Marxismus galt als Gegenteil des Nationalismus, das Gegenteil von allem Bösen schlechthin.“
    „Was ja wohl auch stimmt …“
    Edmund überhörte den Einwand geflissentlich. „Von meinen Eltern, bei denen ich noch wohnte, hatte ich mich abgewandt, mit meinem neun Jahre älteren und dreimal klügeren Bruder – Koko – Auseinandersetzungen durchfochten. Nichts und niemand konnte mich von meiner Linie abbringen. Ich verbrachte den größten Teil des Tages mit Gleichgesinnten in und außerhalb der Uni und fand mich bestätigt. Jeder von uns fand sich durch die anderen bestätigt. Allein fünf Worte, ein Satz meiner Mutter, irritierten mich mitunter. Sie mischte sich niemals ein, aber sie sagte, vielmehr murmelte sie kopfschüttelnd vor sich hin, während sie dabeisaß und strickte: „Es war alles ganz anders.“ Zu unseren Diskussionen und zu so manchem Kommentar auf dem Fernsehschirm immerzu: „Es war alles ganz anders.“ Das hätte für mich Anlass sein sollen, die Postulate unsere ‚Bewegung‘ zu hinterfragen. Aber nein,

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