Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)
hartnäckig, verbohrt hielt meine Einstellung mich noch Jahre im Griff. Das fand sein Ende auf einem Dachboden in Norfolk, als ich dort anlässlich einer Familienfeier meiner Schwester im Haus ihrer Schwiegereltern Porzellan aus einer Truhe auspacken half. Jedes Stück war einzeln in Zeitungspapier gewickelt. Dabei stieß ich auf eine Seite der Sunday Correspondent von irgendwann im September 1989 und staunte nicht schlecht, als ich las: Wir sind 1939 aus keinem anderen Grund als 1914 gegen Deutschland in den Krieg gezogen als dem, dass wir die deutsche Vormachtstellung in Europa nicht akzeptieren können.
Hoppla! dachte ich und mir fiel eine wertvolle Tasse aus der Hand und zerschellte. Mutters Worte ‚Es war alles ganz anders‘ blitzten vor mir auf. Von da an betrieb ich Nachforschungen zum Thema Kriegsschuld beider Weltkriegsfälle. Die Wahrheit ist, es war in der Tat alles ganz anders. Wir, speziell die Achtundsechziger, befanden uns in einem folgenschweren Irrtum, den die Linke bis heute leugnet. Dadurch bleibt das Unrecht erhalten und mutiert von Jahr zu Jahr. Die Linke dominiert unser Land und der Rest, obwohl in der Überzahl, der schweigt.
Die Vergangenheit hat sich nach dem Willen der Sieger geformt, die uns kategorisch ein schlechtes Gewissen verordneten und ihre Hände in vorgetäuschter Unschuld wuschen. Die Geschichte wurde zur Hure der politischen Korrektheit. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Wir, die willigen Schüler der Mächte, die sich unsere Umerziehung auf die Fahne geschrieben hatten, glaubten an die Schuld unserer Eltern am Zweiten Weltkrieg und an die Schuld unserer Großeltern am Ersten.
Es blieb uns verborgen, dass diese Schuld genau denen zuzuordnen war, die sie den Besiegten in die Schuhe schoben. Deutschland hat die Welt weder in den Ersten noch in den Zweiten Weltkrieg gestürzt und ich – wir alle waren den Lügenkonstruktionen der Sieger aufgesessen.“
Edmund beendete seinen Vortrag mit den Worten: „So sieht es aus, mein lieber Gerd, verstehst du nun, warum ich zu dem Unfug nicht mehr stehe?“
Er richtete sich auf, Gerds Miene zu studieren, seine Reaktion abzulesen, und musste schmunzeln. Das hatten wir doch schon – vor hundert Jahren, im Physikunterricht –, dass Gerd eingeschlafen war.
Er sah in das junge Greisengesicht unter dem schlohweißen Haarschopf. Wir müssen dieser Hölle entrinnen, auf Biegen oder Brechen – und bald. Als hätte der Junge den Blick im Schlaf bemerkt, fuhr er erschrocken hoch.
„Entschuldigung, Herr Konrad, ich war eingeschlafen!“
„Kein Problem. Du hast nichts versäumt.“
Was auch in des Teufels Küche war hier von Bedeutung außer der Frage nach dem Entkommen?
„Ich muß schlafen gehen. Ich glaube, in meiner Suppe war die doppelte Portion rosarote Brille ... ein schlimmes Zeichen? Der Auftakt zu einer OP morgen früh?“ Er zuckte mit den Schultern. „Kann sein, is auch wurscht.“
Wurscht? Doppelte Portion rosarote Brille? Verdammt!! Edmund sah dem Jungen hinterher, bis er um die Ecke verschwunden war, ohne dass er sich noch einmal umgedreht hatte. Dann schloss er seine Tür und verriegelte sie.
Erste Nacht in Repuestos -Süd. Er hoffte auf den Schlaf. Der ließ ihn im Stich. Was bohrte tiefer, Angst oder Heimweh? – Doppelte Portion – rosarote Brille. Dem Bub ist es wurscht. Human, dieser Duda.
Leichte Tode.
Schmerzfreie Resektionen!
Gnadenreiche Stumpfheit segensreicher Pharmazie.
Abschied vom Ich.
Kaleidoskop der Hölle.
Aus Furcht vor sorgendurchtränkter Nacht schluckte Edmund eine Dormidin und ergab sich einem bleiernen Schlaf.
Auch in Süd begann der Tag im Schwimmbad, durchlief die Pflichtprogramme bis hin zum Fitnesstraining, doch es gab einen Unterschied: Die Samstage und Sonntage waren frei.
Es war aber erst Donnerstag. Edmund schlüpfte in seinen Overall und trat vor die Tür, reihte sich in den traurigen Zug zu den Badehallen ein. Alles wie drüben. Edmund konnte kein bekanntes Gesicht aus West ausmachen, auch nicht Gerds. War seine Befürchtung eingetroffen? Auch in der Schwimmhalle wanderte sein Blick vergeblich nach ihm umher. Edmunds Herz begann heftig zu klopfen und zu stechen angesichts der Stümpfe ringsum. Nackt boten die Amputierten einen noch beklagenswerteren Anblick als in ihren Overalls. Wenigstens konnten sie schwimmen, wenn manche auch nur mit einem breiten Korkengürtel.
Die Sitzordnung hing auch hier neben der Tür zum Frühstückssaal aus. Die Tische
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