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Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Titel: Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Reuther
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Ihnen glückt, fragen Sie nicht: für wen?“
    Als habe Edmund mit seinem Flüstern eine Schleuse geöffnet, setzte ein allgemeines Gemurmel ein. Er trat vor die weiß-blaue Maschine, die sich automatisch aktivierte und Ausgabebereitschaft signalisierte. Edmund entsann sich, dass Hannelore für den Anfang ihre Bekanntschaft mit Sinus und Kosinusfunktion am rechtwinkligen Dreieck erneuern wollte, und berührte die Tasten für Lineal, Dreieck, Bleistift, Rechenschieber und Papier im Format DIN-A4. Die Liste verschwand vom Schirm, dafür leuchtete nun ein Bild auf mit den angeforderten Gegenständen. Oben rechts in der Ecke waren sein Name und seine Kemenatennummer verzeichnet. Ein Ausdruck des Bildes kam aus einem Schlitz unterhalb des Bildschirms, gleichzeitig schob sich aus dem unteren Teil des Gerätes eine Schublade mit den angeforderten Teilen heraus. Dann schaltete sich der Automat selbst aus. Und wieder durchfuhr Edmund ein gehöriger Schreck. Welch perfekte Observation, dachte er, welche Erkennungssicherheit! Diese Satansbrut von unsichtbaren Verbrechern hatte alles im Griff! Er nahm die Materialien an sich und ging auf einen der unbesetzten Schreibtische zu. Für Sekunden blieb er hinter Matthias Huber stehen, der ihn nicht bemerkte. Später sagte er zu Hannelore, dass ihm Hubers Emilia Galotti verändert vorgekommen sei.
    „Stimmt“, antwortete sie, „ich finde, sie trägt seit heute die Züge der Goldenen Adele von Gustav Klimt.“
    „Ja, genau! Jetzt, wo Sie das sagen, fällt es mir ein, woran mich das Bild grad erinnert hat! … Gut – also wollen wir? Versuchen Sie, rechnerisch und zeichnerisch die Winkel ...“
    „Entschuldigung“, fiel sie ihm ins Wort, „würden Sie mir bitte zuvor die beiden Lehrsätze zu Sinus und Kosinus eines spitzen Winkels im rechtwinkligen Dreieck diktieren, ich steh sonst total auf dem Schlauch.“
    Mit Eifer stürzten sie sich in die erste Stunde, und ehe sie sich versahen, war es sieben durch und sie mussten Schluss machen. Hannelore wollte ins „Odeon“, sie kannte Orpheus in der Unterwelt nicht und war neugierig auf die Aufführung.
     
    „Das Theater fängt um acht an, das reicht gerade noch für einen kleinen Imbiss in Ferdinands Bistro – kommen
    Sie mit?“
    „Ich treff mich nachher mit Freunden im Café und möchte mir zuvor die Beine vertreten. Aber darf ich Sie was fragen?“
    „Immer.“
    „Was hab ich im Forum zu gewärtigen?“
    Hannelore ließ die Augen kullern, schüttelte den Kopf, drehte sich um und wandelte davon.
     
    In Theos Café war nur noch ein Tischchen frei. Edmund bestellte ein Kännchen Kaffee, als die Tür sich öffnete und Angela und Gustav Arm in Arm das Lokal betraten. Sie setzten sich zu ihm. Angela war kalkweiß im Gesicht und zitterte.
    „Geht es dir nicht gut – oder ist was passiert?“
    „Es geht schon wieder.“
    Sie bestellten Tee. Gustav sagte:
    „Wir haben vor zehn Minuten erfahren, dass die Wienerin Selbstmord begangen hat, Isolde Weinlein ... Hat sich eine Pulsader aufgeschnitten. Eine Stunde, nachdem die Wehen eingesetzt haben.“
    In das betretene Schweigen hinein befiel Angela ein Weinkrampf. Bei dem Versuch, ihn zu unterdrücken, schluchzte sie umso heftiger auf. Gustav legte seinen Arm um ihre Schultern und drückte sie sanft.
    „Sprechen wir über uns“, lenkte Edmund ab, „was können wir bloß tun?“
    „Vorerst nichts weiter als abwarten. Nach der Aufklärung im Forum beraten wir weiter“, sagte Gustav. „Inzwischen sollten wir uns eingehend mit der Frage befassen, nach welchen Kriterien die Verbrecher ihre Opfer auswählen. Wir sind uns doch einig, dass …“
    Silberhelles Lachen unterbrach Edmund. Es kam vom Nachbartisch und klang sehr gekünstelt. Edmund erkannte die Stimme sofort. Es war Nicole Weber, die Französin, in Begleitung derselben beiden Herren wie vorgestern auf der Tribüne. Auch heute ereiferte sie sich überschwänglich und nun so laut, dass ringsum alle zuhörten.
    „… ha! Dichter und Denker! Ein Volk von Schafen seid ihr. Kommt ein Vogel geflogen aus Austria, fliegt ihr hinter ihm her mit lautem Gebrülle und Sieg Heil. Beschließen Siegermächte, euch umzuerziehen, seid ihr gelehrige Schüler, plappert nach, was euch von diesen Pseudodemokraten vorgeplappert wird … Maßt sich eine Handvoll Rotzkerle einen Aufstand gegen euch an ... Eh bien, ihr wurdet mit ihnen fertig – aber ihre Parolen haben euch geprägt und ihr lächelt nachsichtig, wenn sie mit geschwellter Brust

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