Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)
mein Angebot nachgedacht haben.“
Falsch. Deine Frivolität hat mich für einen Augenblick sprachlos gemacht, erwiderte er in Gedanken, entschlossen, nicht mehr zu reagieren, getreu seiner Ankündigung, nichts mehr zu sagen. Sie blieb endlich still.
Heute empfand Edmund die Gymnastik unter den Tambourinschlägen des Monsters extrem erniedrigend. Er entlud im Fitnesssaal seinen Frust am Punchball.
Der Weg zum „Tulpenkorb“ war recht lang, zunächst den Lotospfad entlang, fast bis an sein Ende, und bei der Möwengasse rechts ab bis zum Fresienpfad. Als Edmund an der Bücherstube Lilienpfad vorbeischlenderte und sein Blick die ausgelegten Zeitungen streifte, stockte ihm der Atem.
Zu dieser Zeit näherten sich seine Freunde auf einer anderen Route dem Restaurant. Gustav machte sich über das Wandeln lustig:
„Passender wäre es, statt Gassen und Pfade Wandel und Torkel zu sagen. Kamelientorkel, Eulenwandel und so weiter.“
Zum ersten Mal huschte in Repuestos ein Lächeln über Angelas Gesicht. Sie drückte sachte Gustavs Arm. Sie war nicht mehr allein – zu einem hohen Preis, Gustav war nun auch verloren.
Am Irispfad/Ecke Taubengasse öffnete sich, als sie vorbeikamen, ein Portal, dem eine Menge Menschen entströmte. Gustav nahm Angela bei der Hand, um sie in dem Trubel nicht zu verlieren. Vor einem Plakat blieben sie stehen.
„Ich glaube, das ist ein Kino“, sagte Gustav.
Eine Frau drehte sich zu ihm um: „Sie haben recht“, sagte sie, „und jetzt ist gerade der Film ‚Unser Mann in Havanna‘ zu Ende gegangen. Sie sind neu hier, stimmt´s?“
„Hilde!“, rief eine ungeduldige Stimme. Die Frau rief zurück: „Ich komm ja schon!“ Und zu Gustav gewandt prophezeite sie: „Wir begegnen uns noch“, und ging weiter.
„Spinnt die?“, flüsterte Angela.
„Keine Ahnung. Wieso?“
„Wie die dich angeguckt hat. Ich dachte, gleich frisst sie dich auf.“
„Hab ich nicht bemerkt. Sieh mal, der da!“ An der Wand gegenüber stand einer, der mit seinen Zeigefingern in beiden Naselöchern bohrte. „Ich glaube, hier spinnen alle nach einer Weile.“
Zwei hochschwangere Frauen kamen ihnen mit starren Blicken entgegen.
„Ich glaube, die haben geweint, alle beide.“
„Das sollte mich nicht wundern, in diesem Zustand und dann gefangen. Hoffentlich sind wir wieder daheim, wenn du soweit bist. Ich bin erstaunt, wie viel Schwangere es hier gibt. Beinahe jede zweite Frau hat einen runden Bauch.“
„Gell? Mir fällt das auch auf. Meine Wienerin ja auch. Sie ist im sechsten Monat und wäre froh, wenn sie im ersten oder zweiten wäre, hat sie gesagt. Den Grund hat sie mir verschwiegen. – Gustav?“
„Ja?“
„Ist dir klar, dass man es mir ab nächstem Monat ebenfalls ansehen wird?“
Er blieb abrupt stehen und fasste sie am Arm.
„Da fällt mir ein – ich meine – heißt das … hat diese Mafia am Ende lauter werdende Mütter entführt und alle weiblichen Gefangenen sind schwanger? Bei den einen ist es zu sehen und bei den anderen halt noch nicht!“
„Und was ist mit den Männern?“
„Oder – oder – werdenden Eltern?“
„Nein, Gustav, wir sind als Paar eine Ausnahme oder eine der Ausnahmen … Es sei denn, die fehlenden Partner oder Partnerinnen werden noch eingefangen und hergebracht.“
„Ist Edmunds Frau schwanger?“
„Weiß ich nicht. Müssen wir ihn fragen. Isolde Weinlein ist seit zehn Monaten in Repuestos und im neunten Monat schwanger. Sie wurde also nicht in schwangerem Zustand entführt.“
„Wer ist denn Isolde Weinlein?“
„Die Österreicherin, die mich in Empfang nahm und herumgeführt hat.“
„Ach so, die Wienerin. Hatte ich vergessen. So lange ist die schon hier! Ich dachte, der Aufenthalt in Repuestos -West sei auf drei Monate beschränkt.“
„Tja – versteh ich auch nicht.“
„Im sechsten Monat? Ist sie mit ihrem Mann oder Freund hier unten?“
„Ich habe sie nicht danach gefragt.“
Eine Gruppe aufgeregt schwatzender Frauen und Männer kam ihnen entgegen. Immer wieder fiel das Wort Kamp. Sie waren in ihre Debatte vertieft und beachteten die beiden nicht.
„Hörst du das?“ Gustav blieb stehen und hob den rechten Zeigefinger in die Höhe.
„Ich höre nichts, was soll ich hören?“
„Mein Magen knurrt – sind wir bald da?“
„Keine Ahnung – doch! Guck, wir stehen direkt davor!“
Der „Tulpenkorb“ war nur halb so groß wie die anderen Restaurants. Angela wusste von Edmund, dass sich dahinter neben der eigenen
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