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Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Titel: Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Reuther
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möchtest“, sagte Angela, „obwohl – lieber wäre mir jetzt ein Eis.“
    „Ist mir auch recht.“
    Die Eisdiele war gleich um die Ecke. Sie hörten bereits von draußen jemanden lautstark schwadronieren. Es war Adolf Merze, der, während er eindrucksvoll redete, immer wieder seine Mähne zurückstrich. Angela entdeckte einen unbesetzten Tisch. „Ich könnte noch tausend solcher Beispiele anführen“, tönte Merze – er musste eine eindrucksvolle Geschichte zum Besten gegeben haben, denn das Publikum staunte ihn ergriffen an. Jakob Schieferstein, der mit Hannelore und Elisabeth Koch zusammensaß, vergaß darüber sogar sein Eis, es schmolz und troff über die Becherwand in die Unterschale. „Beispiele aus vielen Kneipen in Frankfurt und nicht allein in unserer Stadt. Und was tun sie, die Damen und Herren in der Regierung? Nichts tun sie gegen Fremdenhass, Rassismus, Antisemitismus. Die Republik ist von rechtsextremer Gewalt geprägt. Es ist an der Zeit, dass die richtigen Leute das Ruder übernehmen.“
    Jetzt ging Edmund ein Licht auf. Er sah es plötzlich vor sich, das PDS-Wahlplakat. Überall in der Stadt war es ja zu sehen gewesen. Klar, Adolf Merze, ein PDS-Mann! Seit dieser Mann auf der Schnecke ausgerutscht war, hatte Edmund sich immer wieder den Kopf darüber zerbrochen, wieso ihm das Gesicht des Mannes bekannt vorkam.
    „Höchste Zeit für einen Regierungswechsel da oben“, fuhr Merze fort, „für einen radikalen und nicht für einen, bei dem ein Weichei dem anderen die Klinke in die Hand gibt.“
    „Hammer hoch, Sichel hoch, hoch die Fäuste“, übertönte eine Frau den schwachen Applaus, „auf zum letzten Gefecht!“
    Edmund und Angela wandten sich um und staunten. Das war die Wengler. War das Ulk oder Ernst? Ihre schrille Stimme hing noch über den Köpfen, als zaghaftes Trommeln auf den Tischen einsetzte und zu donnerndem Brausen anschwoll.
    „Ruhe!“, brüllte Günter Reise in das Stimmengetöse hinein. „Ruhe!“ Und rief in den abebbenden Taumel:
    „Die Dummen werden einfach nicht alle! Sobald ein Extremist, ob linker oder rechter, sein Mundwerk nur richtig weit aufreißt, wie zum Beispiel die Dame dahinten zu ihrem letzten Gefecht, spendet die Masse frenetischen Beifall, weniger aus Zustimmung als vielmehr aus Begeisterung für den gelungenen Gag – da geht’s nur ums Gaudi! Wir wissen alle, wohin das führen kann, also hört auf damit. Und Sie, Herr Merze, wenn Sie die Gutmenschenvariante für die PDS reklamieren – um die schon andere buhlen – und durch die Blume behaupten, sie stünde Ihrer Alt-SED auf die Fahne geschrieben, so sage ich Ihnen, dass ich dem Fanal ganz was anderes entnehme. Und bei Ihrer Auflistung haben Sie einen Posten vergessen, den Kommunismus nämlich, gegen den tun die da oben , um Ihre Terminologie zu gebrauchen, schon gar nichts und das ist der eigentliche Skandal!“
    Plötzliche war Stille. Merze verließ seinen Platz und ging auf Reise zu.
    „Bloß gscheit isch au dumm!“, schwäbelte Edmunds Nachbarin aus der 121, die Schachtante, flüsternd – er hatte schon wieder vergessen, wie sie hieß – in die betretene Stille hinein.
    „Du sagst es, Antje“, flüsterte der ältere Herr neben ihr zurück – ach ja, Antje Meisner, fiel es Edmund wieder ein.
    „Außerdem ist heute der erste Tag vom Rest unserer Tage in Repuestos -West.“
    „Red net au noch übergscheit.“
    „Wozu streiten, was für uns längst passé ist“, rief Georg Hahn, „die Menschen auf der Welt müssen damit klarkommen, wir sind längst außen vor.“
    „Damit auskommen oder versagen!“, meinte Hannelore. Allgemeines Murmeln setzte ein, alle Blicke richteten sich dabei auf Merze, der sich inzwischen vor Reise aufgebaut hatte. Die beiden redeten, zischten vielmehr, aufeinander ein und plötzlich schoss Merzes Faust hervor und traf zielsicher Reises Auge. Der schlug aus bloßem Reflex heraus zurück, traf aber nicht und wurde in den nächsten Minuten ebenso abgeführt wie sein Angreifer. Das unbeugsame Gesetz in Repuestos -West! Ein Dutzend Augenpaare blickten den Unglücklichen auf ihrem Weg zur Apathie hinterher.
    Sie brachen auf. Angela putzte sich die Nase. „Jemand muss es Otto sagen.“
    „Otto? Ach ja, Adolf Merzes kleiner Bruder. Fällt mir jetzt erst auf, dass er nicht mit Adolf zusammen war. Wo der wohl steckt?“
    „Wo schon! Bei Nicole natürlich.“
    „Was? Nicole und dieser PDSler?“
    „Ist er nicht. Tut nur so – Respekt vor seinem Bruder. Ich sag

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