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Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Titel: Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Reuther
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Nicole, was passiert ist, wir sehen uns in einer Stunde in der Vorbereitungsgymnastik.“
    „Ach! – Ist sie …“
    „Ja, ganz am Anfang.“
     
    Edmund ging früh zu Bett und verbrachte die Stunden in die Nacht hinein abwechselnd autogen trainierend und sinnierend in dem Versuch, Lydias Antlitz hervorzurufen – es wollte sich nicht einstellen. Seit Tagen hatte er von vierzehn Uhr bis sechs Uhr früh nichts anderes im Sinn, als mit sich und seinem Gram allein zu sein. Der einzige Ort hierfür war seine Zelle und die war im Grunde unerträglich. Doch gab es Tage und Nächte, in denen er Dankbarkeit für das Vorhandensein dieses Fluchtlochs empfand, sich darin verkroch und sich einstweilig geborgen fühlte.
    Und dann waren da jene Augenblicke wie dieser, da die Wände immer näher zu rücken schienen, Decke und Boden drohten, sich aufeinander zuzubewegen. Er sprang von der Liegestatt herunter, hechtete hinaus in die Gasse, unterdrückte den Wunsch, zu rennen, und wandelte davon. Sein Hals war trocken, sein Mund fühlte sich an wie Pergament. Im Fresienpfad 15 erklomm er die Stufen zu Friedas Saftstube auf ein Glas eisgekühlten Sprudels und staunte nicht schlecht: Das geräumige Lokal war jetzt noch proppenvoll, eine Viertelstunde nach Mitternacht. Unweit des Eingangs entdeckte er seine Frühstückstischgesellschaft um ein Stehpult versammelt, ohne Hannelore Voß. Sie winkten ihn zu sich.
    „Sitzplatz finden Sie eh keinen mehr, Edmund Konrad, da können Sie sich auch gleich zu uns gesellen“, meinte Nicole Weber. Franz Schuster und Ilse Maibach rückten ein Stückchen auseinander, Edmund schob sich dazwischen. „Was ist denn hier los?“, wollte er wissen, ergriff gleichzeitig den Ärmel einer vorübereilenden Serviererin und bestellte sein Wasser mit Eis. Egon Fuchs gab ihm Antwort:
    „Wir warten auf das Neuste von oben . Wir haben interessanten Zuwachs bekommen. Ludwig Zimmermann war es beschieden, den Neuen durch Repuestos zu führen, der uns einiges mitteilen will, er müsse sich aber erst ausschlafen, stimmt doch so, Ludwig, oder?“
    „Jaja, ganz genau. Der arme Teufel war auch wirklich total marode, hat den Schlaf bitter nötig. Bei unserem Rundgang durchs Dorf war er noch ziemlich von der Spritze umnebelt, die sie ihm bei der Entführung verpasst hatten.“ Zimmermann sah selbst zum Erbarmen aus. Dunkle Ringe um die Augen unterstrichen seinen Kummer – heute war sein letzter Tag in Repuestos- West.“
    „Ach! Warten hier alle, bis er ausgeschlafen hat?“, staunte Edmund. „Seit wann schläft er denn?“
    „Es ist anzunehmen, seit halb sieben gestern Abend, da habe ich ihn zu seiner Kemenate geführt“, sagte Zimmermann.
    Die Meldung, dass ein Neuer mit einer Botschaft von daheim eingetroffen war – daheim, das war nun die ganze Welt über der Erdkruste –, hatte sich unter den Spendern wie ein Lauffeuer herumgesprochen und Scharen angelockt. Edmund stellte sich auf die Zehenspitzen und hielt Ausschau nach Angela oder Hannelore, konnte aber keine von ihnen ausfindig machen. Auch Gerd war nicht zu sehen. Die Kellnerin brachte sein Eiswasser just in dem Augenblick, als die Tür aufging und der interessante Neuzugang hereinkam. Groß, kräftig, Halbglatze, Dreitagebart, Ende vierzig oder Anfang fünfzig. Frieda führte ihn zu dem erhöhten Sitzplatz hinterm Tresen und stellte ein Glas Orangensaft vor ihn hin. Er verbeugte sich vor den Versammelten, jemand klatschte in die Hände und dann klatschte das ganze Lokal.
    „Danke, danke, ich weiß, das gilt nicht mir, sondern dem Ende der Warterei. Ich heiße Richard Mensinger und bitte um Entschuldigung, dass ich so lange geschlafen habe, ich war total kaputt. Ich begrüße Sie nicht mit Guten Tag oder Hallo, sondern mit ‚Kopf hoch!‘ und sage vorweg das Wichtigste: Glaubt nur nicht, ihr wärt vergessen oder abgeschrieben, man lasse euch im Stich … Das Gegenteil ist der Fall. Sie setzen oben alles dran, euch zu finden. Experten sind Tag und Nacht fieberhaft damit befasst, euren – ich muss jetzt sagen unseren, denn ich gehöre ja jetzt dazu – Verbleib herauszufinden. Mit großem Engagement unter Aufbietung aller Kräfte und das unter unablässigem Druck durch eure Familien, der verständlich ist, aber überflüssig. Besagte Experten, die in ihrem Auftrag stehen, sind hochmotiviert. Es werden keine Mühen und keine Kosten gescheut. Der führende Kopf des Vermisstendezernats, Hübner, hält Sie für Aussteiger, für Davongelaufene, und unternimmt

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