Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)
nach uns sucht.“
Angela sah sie ungläubig an. „Und?“
„Ich weiß nichts Rechtes, beim Frühstück haben alle total wirr darüber gesprochen. Jedenfalls war Edmund bei der Versammlung dabei und wird uns informieren können.“
„Aber wo steckt er?“
„Es ist Freitag“, erinnerte Hannelore, „da gibt es im ‚Liliengarten‘ die große Mariscada, die lässt er sich selten entgehen. Darauf hätte ich heute auch Lust.“
Angela nicht. Der bloße Gedanke an das Meeresgewürm ließ sie erschauern. Doch die Versammlungsgeschichte machte sie neugierig und schließlich hat der „Liliengarten“ auch anderes zu bieten. Hand in Hand wandelten sie zu dem Restaurant. Als sie es betraten, gab Edmund gerade seine Bestellung auf.
„Für mich das Gleiche, bitte“, sagte Hannelore.
Der Kellner sah Angela fragend an.
„Eine Scheibe Toast und ein Glas Orangensaft, bitte.“
Edmund wiederholte auf das Drängen der Damen Mensingers Bericht. Sein Vortrag glich fast einer Kopie, er konnte sich an beinahe jedes Wort erinnern. Die Gabe, Reden und Texte, wenn sie ihn besonders interessierten, komplett aufzunehmen und abzuspeichern, war ihm schon als Student bei den Klausuren zugute gekommen.
„Am Ende heulte alles“, schloss Edmund und tunkte ein Stück Weißbrot in die Hummersoße. Angela und Hannelore sahen ihn an, sicher, dass da noch was kam. Er schluckte den Happen hinunter, trank einen Schluck Wasser und fuhr fort:
„Heute im Fitnesssaal offenbarte ich mich Mensinger gegenüber als Bruder des Detektivs, des Freundes seines Kollegen Raabe. Er sagte zu, mit mir alles noch einmal durchzugehen, jedoch erst nach seinem bevorstehenden Seminar im Forum, das schon für morgen für die Neuen anberaumt ist. Weil ich dann auch ihm Fragen beantworten kann, die ihm auf der Seele brennen. Wir haben uns für übermorgen um fünfzehn Uhr hinter dem Trapez im Vergnügungspark verabredet. Wenn ihr wollt, kommt einfach mit.“
„Übermorgen um fünfzehn Uhr“ fing ganz sachte an, wenngleich voll Spannung, Neugier und Erwartung.
Die Milchglasdecke über dem Vergnügungspark war – wie über den Sportplätzen übrigens auch – drei- bis viermal höher als über den Gassen und Pfaden. Helles Licht gleißte durch und täuschte hellen Sonnenschein vor. Der Park war heute nahezu überfüllt. Edmund und Hannelore kamen gleichzeitig an und warteten auf Angela und Mensinger. Bei der Auswahl des Treffpunktes hatte Edmund nicht bedacht, dass ganz in der Nähe ein „Hau-den-Lukas-Ambos“ stand. Daran tobte sich derzeit ein wütender Donor kraftvoll aus. Hannelore zuckte bei jedem Schlag zusammen. Im Hintergrund quietschte unablässig eine elektrische Harmonika den Einmarsch der Gladiatoren aus ihrem Balg.
Sie waren zehn Minuten zu früh. Um sie her pulsierte das Leben, als sei alles in Ordnung, alles gut so, wie es war. Das Treiben verwirrte Edmund. Von der bedrückten Stimmung wie überall sonst in Repuestos war hier nichts zu spüren. Keine traurigen Gesichter, keine geduckten Gestalten. Im Gegenteil – unbegreifliche Heiterkeit. Galgenhumor? Eine Parallele zum Leben über der Erde. Ganz ehrlich, wo war der Unterschied? Edmund erschrak bei dem Gedanken. Er dachte an das Spiel auch der Kinder oben in der Welt, ihre Unbekümmertheit, ihre Einfalt. Aber sobald wir erwachsen sind, ist alles Tun, alle Abwechslung nichts anderes als Verdrängung eines Gedankens, den an das Ende, an den Tod, sagte er sich. „Die zwei jungen Burschen da sind aus der Eulengasse.“
„Was? Wie? – Ach die da … ja?“
Hannelore sah zwei Turnern zu, die ihre Fähigkeiten am Trapez testeten und offensichtlich ihren Spaß dabei hatten. Edmund kam ihr in letzter Zeit recht seltsam vor. Er schielte zum Eisstand hinüber. Die Eisverteiler hatten alle Hände voll zu tun. Spender, von diversen Lustbarkeiten erhitzt, drängten sich in Scharen vor der langen Theke. Edmunds Mund und Hals waren wie ausgedörrt und es gelüstete ihn nach einer Erfrischung.
„Ich hole mir eine Tüte Erdbeereis – kann ich dir auch eine mitbringen?“
„Eine gute Idee. Warte, ich komme mit.“
„Lieber nicht, Mensinger kann jeden Augenblick kommen. Ich möchte nicht, dass wir ihn verpassen.“
„Okay, für mich dann ein Zitroneneis, bitte.“
Er nahm die Abkürzung, die unter Dutzenden von über seinen Kopf hinwegfliegenden Füßen führte, welche von den Körben des Kettenkarussells herab durch die Luft schossen, von vergnügtem Schreien und Quietschen
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