Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)
der fliegenden Spender untermalt, die im kreisenden Geschwindigkeitsrausch Vergessen suchten.
Edmund, in jeder Hand eine Tüte Eis, kam in dem Augenblick zurück, als Mensinger eintraf und gleich darauf Angela.
„Ziemlicher Trubel hier“, stellte Mensinger fest. Edmund machte ihn mit den Damen bekannt. Hannelore schlug vor:
„Lasst uns zum Schwanenteich am Ende der Parkanlage wandeln. Da ist es ruhig.“
Sie kannte sich eben aus. Die anderen folgten ihr auf dem schmalen, heckenumsäumten Kiesweg. In der Nähe des Teichs blieb sie vor einem eingezäunten Platz stehen. Sie roch an den Jasminsträuchern, die tatsächlich dufteten, bog die Zweige auseinander und winkte die anderen heran. Ein Kinderspielplatz hinter Maschendraht. Drei- bis Zehnjährige vergnügten sich an Schaukeln und Rutschbahnen, andere spielten Federball oder Ping-Pong. Eine Gruppe tanzte singend im Kreis. Die Kleinsten saßen im Sandkasten. Drüben, am anderen Ende, spielten Elf- bis Siebzehnjährige Volleyball.
„Etwa ebenfalls Spender?“, fragte Mensinger entsetzt.
Hannelore nickte und fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. Mensinger war fassungslos.
„Wo kommen die her? Von Kindsentführungen ist mir nichts bekannt.“
„Ja“, sagte Edmund, „wie ist das möglich?“
Hannelore wusste es. „Die sind hier geboren, Kinder von Spenderinnen – und Spendern. Es werden keine Kinder entführt ...“
Logo, dachte Mensinger grimmig, Kinder durchlaufen äußerst selten die Klinik für Diagnostik.
„Es heißt“, fuhr sie fort, „ein Kinderherz bringe dem Syndikat fünfzig Millionen Euro ein.“
Das ließ Angela zusammensacken. Sie sank hernieder und hockte im Schneidersitz auf dem Kiesweg, das Gesicht in beide Hände vergraben. Edmund fühlte sich in Die göttliche Komödie versetzt. Das „Ambiente“ dieser Hölle war ihm wieder, wie so oft hier unten, gegenwärtig. In vielen Nächten erwachte er durch seine eigene Stimme, die – mit seinen Träumen eng verknüpfte – Passagen des Dichters deklamierte.
„Steh auf, Angela, bitte.“
Sie halfen ihr auf die Beine. Die naturgetreu nachgemachten Plastikhecken verbreiteten Düfte, echten Blüten täuschend ähnlich, und wurden ständig berieselt, um jedweden Staub zu vermeiden. Das künstliche Licht von oben brach sich in den kleinen Wassertropfen, es blitzte an den Blatträndern rot, grün und blau auf wie in der Natur nach einem Regenguss.
Das Wasser in dem künstlichen Teich allerdings war echt und echt eine Vierergruppe weißer Schwäne. An der Anlagestelle der Kajaks stand eine superschlanke, hoch gewachsene Frau und versuchte, die Schwäne anzulocken. Mit leeren Händen – füttern war verboten – ein hoffnungsloses Unterfangen.
Die vier ließen sich auf einer Bank am Ufer des Teichs nieder. Es herrschte himmlische Ruhe, dann und wann unterbrochen von fernem Vogelzwitschern.
„Dieses Gefängnis repräsentiert sich als Schlaraffen- und Wellnessland. Ich frage mich, wozu der kostspielige Aufwand? Will man unser trauriges Schicksal abmildern? Etwas viel Gefühl für Menschenschlächter.“
„Es geht ihnen um gesunde Ersatzteile, Herr Mensinger. – „Wie ist Ihnen das Seminar im Forum bekommen?“
„Reden wir nicht von mir, das ist vorderhand ganz und gar uninteressant“, antwortete er ungehalten. Die Anwesenheit der zwei Frauen war ihm unbehaglich. Er hätte es vorgezogen, sein begrenztes Wissen lediglich mit Edmund Konrad im Detail zu besprechen, der jetzt fragte: „Was hat mein Bruder bis heute herausgefunden?“
„Bestimmt mehr, als mir bekannt ist. Vergessen Sie nicht, mein Platz ist in Wiesbaden. Ich bekam das eine oder andere durch Raabe mit, wenn sich unsere Recherchen kreuzten. Das Wichtigste von allem, das ich mitbekam, ist, dass die Opfer eine Auslese darstellen, eine Gesundheitselite.“ Er ließ seine wasserblauen Augen kullern und atmete tief durch. „Nach den Offenbarungen im Forum ist mir auch klar, warum.“
„Gesundheitselite – ja, das macht Sinn. Wie ist Koko darauf gekommen?“
„Durch eine Fragebogenaktion Ihres Bruders mit den Angehörigen der Opfer. Die hat ergeben, dass sich die Opfer allesamt kurz vor ihrem Verschwinden einem Gesundheitscheck bei der DKD in Wiesbaden unterzogen hatten, und zwar mit Bilderbuchresultaten. Nebenbei zufälligerweise auch ich. Ein Umstand, dem ich wohl verdanke, dass ich noch lebe. Die Ersatzteile, die ich mit mir herumschleppe“, fügte er bitter hinzu, „sind offenbar der Einlagerung wert. Und
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