Requiem für eine Sängerin
spazieren einfach davon und lassen mich wie eine verdammte Närrin hier sitzen.» Sie hatte sich in eine spektakuläre Wut hineingearbeitet, aber Fenwick hatte genug von ihrer Melodramatik und ihrem Zwang, im Mittelpunkt zu stehen.
«Seien Sie still, Octavia. Ihr Leben ist in diesem Augenblick nicht in Gefahr, das anderer möglicherweise schon. Denen gilt meine erste Sorge, nicht Ihnen.»
Sein Tonfall machte sie sprachlos.
«Wir haben in der vergangenen Stunde Meldungen erhalten, dass Rowland sich in Chichester aufhält. Wir haben sie behandelt wie alle anderen auch, die sich als Fehlalarme entpuppt haben. Mit dem, was Sie jetzt sagen, ist aus der Möglichkeit eine Wahrscheinlichkeit geworden, und ich musste die Leute warnen. Jetzt können wir uns wieder um Sie kümmern. Warum sind Sie so sicher, dass es am Montag soweit sein wird – und ausgerechnet in der Kathedrale?»
Kalt schilderte Octavia ihre Überlegungen der vergangenen Nacht. Für Fenwick hörte es sich weit hergeholt und unwahrscheinlich an; es entsprang eindeutig ihrer Überzeugung, dass das Leben eine konstante Darbietung war. Würde Rowland sich wissentlich einer solchen Gefahr aussetzen, nur um Anderson in der Öffentlichkeit anzugreifen? Dann fiel ihm ein, dass Bayliss Rowland als einen Mann beschrieben hatte, der seine Mordserie nicht mit einem Autounfall beschließen würde.
«Wie schnell können Sie Ihren Auftritt absagen? Es sind nur noch vier Tage, das heißt, die Veranstalter werden nicht viel Zeit haben, Ersatz zu finden.»
«Ich werde nicht absagen – ich mache weiter. Ich habe gründlich darüber nachgedacht, Andrew. Wenn ich den Auftritt absage, bin ich dadurch nicht in Sicherheit. Er wird immer noch da draußen sein und auf mich warten. Wenn nicht bei diesem Auftritt, dann wird er versuchen, mich beim nächsten zu töten oder beim übernächsten. Meine Karriere basiert auf öffentlichen Auftritten. Wollen Sie, dass ich mein Leben in Tonstudios verbringe? Wie soll ich für meine Arbeit werben? Ich habe gerade meinen ersten wichtigen Plattenvertrag unterschrieben – je länger ich gewartet habe, desto wertvoller wurde ich. Ich habe vor, im Herbst eine Reihe hochkarätiger Auftritte zu absolvieren und Anfang nächsten Jahres aufzuzeichnen. Nach der öffentlichen Aufmerksamkeit, die mir zuteil werden wird, werde ich der Star sein. Mein Agent und ich haben alles geplant: zahlreiche, qualitativ hochwertige Auftritte in den nächsten drei Monaten und absolut keine Aufnahmen – das ist die Bedingung in all meinen Verträgen.»
Sie war die perfekte Söldnerin. Die anfängliche Angst war eisenharter Berechnung gewichen. Auf einer Ebene war die Gefahr für Leib und Leben nur ein Ärgernis für sie, das es aus dem Weg zu räumen galt. Und dafür brauchte sie ihn. Für einen Augenblick bekam Fenwick uneingeschränkten Einblick in die Manipulationen, Listen und Winkelzüge, die ihren Erfolg ausmachten.
Sie diskutierten lange über die Risiken und Vorteile ihres Auftritts. Fenwick bestand darauf, dass sie ihn absagen sollte, musste aber eingestehen, dass er keine Möglichkeit hatte, sie dazu zu zwingen; und wenn er ihr Polizeischutz verweigerte und sie trat auf und wurde getötet – er wagte nicht, daran zu denken.
Er ging sich mit dem Assistant Chief Constable besprechen, um festzustellen, wie viel Lust der verspürte, den Auftritt zu untersagen.
«Lächerlich, Fenwick! Er wird nie und nimmer einen Angriff an einem derart öffentlichen Ort inszenieren. Seine anderen Verbrechen hat er heimlich und verstohlen begangen. Er hat zugeschlagen, ohne eine Spur zu hinterlassen. Warum sollte er sich in Gefahr begeben und in die Öffentlichkeit gehen? Das ist Unsinn – die Frau hat eine zu rege Phantasie; so sind sie, diese Künstlertypen. Ich will zugestehen, dass sie das nächste Opfer sein könnte und dass es Ihr Job ist», er zeigte mit dem Finger auf Fenwick, «dafür zu sorgen, dass sie am Leben bleibt. Aber wenn sie auf dem Auftritt besteht, soll sie. Dort wird er garantiert nicht zuschlagen. Dort wird sie sicherer sein als anderswo, denken Sie an meine Worte. Und die Peinlichkeit, dass die Polizei den Auftritt absagt, wo selbst sie darauf besteht … Nein. Das sind Hirngespinste.»
Fenwick argumentierte lange und erbittert. Er hatte Verständnis für den Standpunkt des anderen – die Logik gebot, dass Anderson sich irrte –, aber sein Instinkt und die zunehmende Einsicht in Rowlands Verhalten veranlassten ihn, ihr zuzustimmen.
Die
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