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Requiem für eine Sängerin

Requiem für eine Sängerin

Titel: Requiem für eine Sängerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Corley
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Gebet.»
    Der Dirigent klopfte mit dem Taktstock auf seinen Notenständer und begann den ersten Gesamtdurchlauf. Fenwick sah zur Bühne und zuckte zusammen, als ihm klar wurde, was für eine prächtige Zielscheibe Anderson bot. Ihr roter Pullover bildete den Mittelpunkt in einer Masse menschlicher Ziele. Nightingale hatte sich direkt vor die Bühne gesetzt und ließ den Blick über die leeren Stuhlreihen schweifen. Sie wirkte schwerer als sonst; die gefütterte Jacke machte die Masse der kugelsicheren Weste noch deutlicher.
    Er versuchte noch einmal, die größten Gefahrenmomente für Octavia zu analysieren. Er hielt es für unwahrscheinlich, dass sie angegriffen wurde, solange sie saß. Zwar saßen die Solisten am vorderen Bühnenrand, aber im Sitzen wurde sie praktisch von allen Seiten – nur nicht von ganz rechts – abgeschirmt.
    Blieb natürlich die Möglichkeit einer Bombe oder Granate, aber das bezweifelte er. Zu viele andere würden sterben, die Auswirkungen der Explosion ließen sich unmöglich abschätzen – was bedeutete, ein derartiger Angriff konnte auch gefährlich für den Bombenleger sein –, vor allem aber schien es zu grob. Ohne Stil. Als Waffe kamen mit aller Wahrscheinlichkeit nur ein Messer oder eine Schusswaffe in Frage.
    Ein Messer würde zu den früheren Morden passen. Anderson konnte auf dem Weg von oder zur Bühne niedergestochen werden oder wenn sie draußen eintraf. Aber Rowland würde sich nahe an sie heranschleichen und den dichten Ring aus Sicherheitskräften durchdringen müssen. Er konnte nicht sicher sein, ob er es bis zu ihr schaffen würde, und würde unweigerlich gefasst werden. Einen Angriff mit einem Messer schloss Fenwick aus.
    Also eine Schusswaffe. Er war die ganze Zeit davon ausgegangen, dass das die wahrscheinlichste Möglichkeit war.
    Rowland war ein Schütze und als solcher mit den meisten Handfeuerwaffen und Gewehren vertraut. Wenn Octavia stand, gab es Dutzende Positionen, von wo aus Rowland freies Schussfeld hatte. Am besten schien das Triforium geeignet, aber das war zwei- oder dreimal auf Herz und Nieren überprüft worden. Und Rowlands Waffenlager war entdeckt worden, was bedeutete, dass er seine Waffe mitbringen musste. Bewaffnete Polizisten standen auf beiden Seiten der Empore, dazu drei Trompeter und der Tontechniker. Ihre Instrumente und Ausrüstung waren ausnahmslos durchsucht worden; nichts sah verdächtig aus.
    Fenwick fiel ein, dass er immer noch nicht wusste, ob sie die Identität der verbliebenen Musiker und Techniker geklärt hatten, daher gab er Cooper ein Zeichen, sich darum zu kümmern. Der Assistant Chief Constable entfernte sich wieder, um mit Blite und Campbell das Vorgehen zu besprechen und die letzte Runde der Sicherheitsmaßnahmen zu überwachen.
    Die Generalprobe nahm ihren Lauf. Fenwick spürte deutlich eine Nervosität im Chor, die ihn beunruhigte. Er setzte sich in Bewegung und wollte gerade zur Bühne gehen, als das Crescendo des «Dies irae» erklang. Die Kraft von mehr als hundert Stimmen und die schiere Wucht der Musik hallten durch die Kathedrale. Die Härchen auf seinen Unterarmen richteten sich auf. Ihm wurde bewusst, dass er den Atem anhielt.
    Die Musik schallte bis hinauf ins Gewölbe, von den Wänden zurück, um die Säulen herum. Und Fenwick stand in der Mitte und nahm die überirdischen Klänge mit jeder Faser in sich auf. Er hatte so etwas noch nie erlebt. Er fühlte sich verwundbar und zugleich erhaben und auf ungestüme Weise erregt. Durch die Musik fühlte er sich mit dem Leben verbunden, als Teil von etwas Unermesslichem, von dem er nur einen winzigen Bruchteil wahrnehmen konnte.
    Die Musik ging weiter, das Gefühl ließ nach. Die Wiederholungen waren lediglich Nachbeben, und er wandte sich wieder dem Klavierauszug zu, auf der Suche nach den Worten, die den Komponisten zu dieser genialen Musik inspiriert hatten.
    Anhand der Dichte der Noten auf der Seite schätzte er, wo sie sich befinden mochten. Schließlich fand er die lateinische Textzeile und eine unzulängliche Übersetzung darunter: « Dies irae … Tag des Zorns.» Der Zufall machte ihn frösteln. Wenn Rowland diese Musik kannte, hätte er kein angemesseneres Stück finden können, um seinen Mord zu begehen.
    Je länger es dauerte, desto mehr Zusammenhänge zu der Musik fand er: «Welches Zagen, welches Beben, Wenn, zu richten alles Leben, Sich der Richter wird erheben!» Zuerst erhob sich der Bass, dann die Mezzosopranistin, um von Tod, Schrecken und Zorn zu

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